Mit Russlands Krieg gegen die Ukraine steht die Ampel-Koalition vor einem grundlegenden Wandel ihrer Politik. Er betrifft nicht nur die Beziehungen zu Russland, sondern auch die Verteidigungsausgaben und die Energiepolitik.

Ex-Verteidigungsministerin: "Wir haben versagt"

Putins Angriff ändert alles: Alarmiert stellt man in der deutschen Regierung fest, wie wenig militärisches Material überhaupt vorhanden ist. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) mahnte, es sei nicht genug Geld da, wenn zusätzliche Aufgaben wie etwa der Schutz der NATO-Ostgrenze übernommen werden sollten. Bittere Selbstkritik kam von der früheren Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). “Ich bin so wütend auf uns, weil wir historisch versagt haben”, twitterte sie. “Wir haben nach Georgien, Krim und Donbass nichts vorbereitet, was Putin wirklich abgeschreckt hätte.”

Russland hatte 2008 in Georgien interveniert, 2014 die Krim annektiert und seitdem auch die Separatisten in der Ostukraine unterstützt. Kramp-Karrenbauer räumte ein, man habe vergessen, dass man nur gut verhandeln könne, wenn man militärisch stark sei. Der Russland-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Stefan Meister, erklärt dazu: “Der Verteidigungsetat muss deutlich erhöht werden – wahrscheinlich reichen zwei Prozent des BIP gar nicht. Es muss um drei oder vier Prozent gehen.” Denn Russland verändere die europäische Sicherheitsordnung.

Erhöhung der Verteidigungsausgaben steht bereits fest

Eine Anhebung des Wehretats gilt nach Angaben aus Koalitionskreisen mittlerweile auch als unstrittig. Die Höhe allerdings steht nicht fest. Denn das Geld fehlt an anderer Stelle im Budget. “Die Erhöhung der Verteidigungsausgaben wird eine der ersten Folgen von Putins Vorgehen sein”, sagt auch Gwendolyn Sasse, Direktorin des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS), zu Reuters.

Dazu kommt eine neue Sicht auf den Energieträger Gas. “Nord Stream 2 sollte komplett gestoppt und die ganze Energiewende überdacht werden”, fordert DGAP-Experte Meister. Die vom deutschen Kanzler Olaf Scholz am Dienstag plötzlich verkündete Verzögerung im Zulassungsprozess sei nur der halbe Schritt. Dazu kämen ganz zentrale Fragen: “Ist Gas wirklich noch die richtige Übergangstechnologie? Was kostet die Energiewende? Sollte man nicht lieber die Laufzeit der drei Atomkraftwerke verlängern, die Ende des Jahres abgeschaltet werden sollen?” Er hoffe auf eine sehr steile Lernkurve der Ampel.

Die Fehler der Merkel-Jahre rächen sich

“Dass deutsche Gasspeicher noch 2015 an Russland verkauft wurden, war völlig falsch. Wie strategisch blind war auch die frühere Bundesregierung, dass sie die Energieabhängigkeit von Russland nicht reduzierte, sondern ausbaute?”, kritisiert er und spricht von einer Mischung aus “Blauäugigkeit und Opportunismus” in der deutschen Politik. Auch ZOiS-Chefin Sasse kritisiert, schon die frühere schwarz-rote Koalition von Kanzlerin Angela Merkel habe viel zu lange auf Gas aus Russland gesetzt.

Auch hier müsse deutlich und schnell umgedacht werden, meint Sasse. In der SPD hatte schon vor Wochen eine Debatte über die sogenannte Ost- und Entspannungspolitik eingesetzt – die Scholz noch bei seinem Amtsantritt gepriesen hatte. Jetzt aber sprechen die Waffen. Und SPD-Co-Chef Lars Klingbeil machte dabei klar deutlich, dass auch die Sozialdemokraten sich von der früheren Nähe zu Russland lösten.