Der Ex-Kanzler hat also einen neuen Job. Die Drehtüre zwischen Politik und (vermeintlicher) Privatwirtschaft ist nichts neues, und es gehört zu den dunkleren Seiten unseres demokratischen Systems, dass die Nähe zur Politik ein besserer Garant für Reichtum als die Nähe zum Markt ist. Von Kern bis Gusenbauer, von Schelling bis Kneissl gibt es kaum einen österreichischen Ex-Politiker der nicht den Schritt zum Lobbyisten oder „Berater“ von Konzernen gemacht hat, die nicht selten direkt von autoritären Machthabern in China oder Russland kontrolliert werden. Auch das Firmenimperium von Peter Thiel, in welches Sebastian Kurz jetzt als „globaler Stratege“ wechseln wird, hat mit Laura Rudas bereits einen ehemaligen österreichischen Jungstar der SPÖ in seinen Reihen. Weshalb also das mediale Aufschreien so vieler Medien über den jüngsten Karriereschritt von Sebastian Kurz? Thiel sei ein gefährlicher Oligarch (Falter Chefredakteur Florian Klenk und Herausgeber Armin Thurnher), ein Bösewicht wie aus einem Batman Film (Politologin Natascha Strobl) und er stünde mit Demokratie und freiem Markt auf Kriegsfuß (Der Standard).

Teilweise lässt sich diese Reaktion mit dem „Kurz-Derangment-Syndrom“ erklären, von dem viele heimische Journalisten betroffen sind. Wer sich über Jahre eingeredet hat, die Aufgabe des Journalismus sei die Verhinderung der faschistischen Übernahme Österreichs durch einen Führer Kurz, kann auch nach dessen Abgang von der politischen Bühne das Objekt jahrelanger Obsession nicht einfach fallen lassen. Andererseits glaube ich, dass die Angst des politisch linken Lagers nicht ganz ungerechtfertigt ist.

Thiel glaubt an die Kraft bahnbrechender Innovationen

Vieles was in den letzten Tagen über Peter Thiel geschrieben worden ist zeigt vor allem, dass ein Großteil der Menschen noch nie von dem Silicon Valley Milliardär gehört haben. Gemeinsam mit Elon Musk (der vielen Linken ebenfalls zusehends ein Dorn im Auge ist) entwickelte er das Online-Zahlsystem PayPal, investierte frühzeitig in Facebook, erfasste als einer der Ersten den Wert von Big Data (was zu Palantir führte, dem Arbeitgeber von Laura Rudas) und ist auch an LinkedIn und anderen digitalen Unternehmen beteiligt.

Wie Thiel über sich selbst sagt, hatte er mit Ausnahme von Crypotwährungen eine sehr hohe Treffsicherheit was erfolgreiche Innovationen betrifft, die den Markt im Sturm eroberten. Ursächlich für diesen Erfolg ist eine Philosophie, die Thiel in seinem Buch „Zero to One“ von 2014 sehr genau beschreibt: Ihn interessieren nicht Innovationen, die bereits existierende Produkte verbessern, sondern die so neu sind, dass sie einen bis dahin nicht existierenden Markt schaffen und in diesem automatisch ein Monopol innehaben. So wie Henry Ford sich nicht dem Wettbewerb des Pferdekutschenmarktes aussetzte sondern das Automobil erfand, glaubt auch Thiel an die Kraft bahnbrechender Innovationen, die dann oftmals mit einer Monopolstellung für den Innovator einhergehen. Nichts an alledem ist übrigens besonders revolutionär sondern entspricht einer neueren Fassung von Joseph Schumpeters Konzept der Kreativen Zerstörung, bei der existierende Märkte (z.B. jener für Pferdekutschen) durch kreative Produkte zerstört und durch neue ersetzt werden (der Markt für Automobile).

Der neueste Markt, den Thiel für sich entdeckt hat ist jener der Biooptimierung und das Verlangsamen des menschlichen Alterns. Mit dem üblichen Mangel an Phantasie macht man sich in den österreichischen Medien über dieses Streben nach „Unsterblichkeit“ lustig, und übersieht dabei wieder einmal völlig, dass die Anti-Aging Industrie einer der am schnellsten wachsenden globalen Märkten ist.

Offensive konservative Bewegung als Gegengewicht zum Linksliberalismus

Politisch ist Peter Thiel erst in den letzten Jahren vermehrt ins Rampenlicht getreten: Bis 2016 unterstütze er aussichtslose libertäre Kandidaten wie den texanischen Kongressabgeordneten Ron Paul, bevor er sich Donald Trump zuwandte. Mit seinem Gespür für Innovation auch im politischen begann Thiel im Oktober 2016 den Präsidentschaftswahlkampf von Trump zu unterstützen, da, wie er sagte Trump sich oft beleidigend ausdrückt, aber bei den großen Fragen richtig läge. Man mag über die Beweggründe geteilter Meinung sein, aber Thiel hätte den späteren Präsidenten nicht unterstützt, wenn er nicht an die Möglichkeit eines Wahlsieges geglaubt hätte. Zu einem Zeitpunkt wo sämtliche Experten eine Präsidentschaft Trumps noch als völlig unmöglich erachteten, sah Thiel das Potential für „Kreative Zerstörung“ in der Welt der Politik.

Doch Thiel ist nicht nur ein Unterstützer von Donald Trump, sondern auch einer neuen politischen Rechten, welche sich in den USA in den letzten fünf Jahren entwickelt hat. Zweimal war er bereits Redner auf der „National Conservatism Conference,“ einer Bewegung, welche langsam aber sicher zur stärksten Kraft innerhalb des amerikanischen Konservatismus aufsteigt und die auch starke ideologische Beziehungen mit der Regierung Orban in Ungarn pflegt. Die „National Conservatives“ sind primär eine Organisation von Intellektuellen, welche die Meinung vertreten, dass konservative Standpunkte im sogenannten Kulturkampf offensiv vertreten werden müssen. Der Staat ist für sie keine neutrale Institution sei, sondern hat der Durchsetzung von ideologischen Zielen zu dienen. Man distanziert sich damit sowohl vom gesellschaftlichen Liberalismus der libertären Bewegung als auch von der Staatsfeindlichkeit des traditionellen US-Konservatismus.

Diese neue konservative Denkrichtung ist jedoch mehr als ein Haufen rechter Rabauken wie beispielsweise die Identitären, sondern zeichnet sich durch eine anspruchsvolle Formulierung politischer Ideen aus. In vielen Bereichen sind die National-Konservativen die aggressive Reaktion auf das von „woken“ Ideen dominierte politisch-mediale Establishment im Westen. In ihrer Wahrnehmung hat sich der kontemporäre Konservatismus einer pessimistischen Resignation verschrieben und alle gesellschaftspolitischen Schlachten gegen den Links-Liberalismus verloren. Angetrieben vom Wahlsieg Donald Trumps, der mehr als alles anderes eine kulturelle Revolution gegen die linke Dominanz in den Medien und die Establishment-Konservativen der Republikaner war, fordern sie eine offensive konservative Bewegung: Wenn linke Ideologie mit Hilfe staatlicher Institutionen durchgesetzt werden kann, sollte sich rechte Ideologie derselben Methoden bedienen.

Thiel sieht die westliche Zivilisation in der Krise

Die wichtigsten Köpfe dieser neuen Bewegung sind keine Obskuranten, sondern Intellektuelle wie Adrian Vermeule, Professor für Verfassungsrecht an der Harvard University, welcher für eine Aufweichung der Trennung von Kirche und Staat eintritt, Patrick Deneen von der University of Notre Dame, Autor des Buches „Warum der Liberalismus gescheitert ist“ (veröffentlicht übrigens von der angesehenen Yale University Press), oder Yoram Hazony, der Präsident des Herzl Institutes in Jerusalem, welcher mit „Nationalismus als Tugend“ das konservative Buch des Jahres 2019 in den USA verfasst hat.

Aber auch medial zeigt die neue Bewegung Präsenz. Die Plattform „The Daily Wire” des konservativen Superstar Ben Shapiro ist auf der National Conservatism Conference ebenso vertreten wie Tucker Carlson, Moderater der erfolgreichsten Nachrichtensendung im Kabelfernsehen, oder Sohrab Ahmari, eine der lautesten Stimmen eines neuen Konservatismus und Mitherausgeber der New York Post, welche 2020 wochenlang von Twitter gesperrt wurde weil man kritisch (jedoch faktisch korrekt) über die Machenschaften von Joe Bidens Sohn, Hunter Biden, berichtet hatte.

Ihre Philosophie bezeichnen die Nationalkonservativen als postliberal und veröffentlichen dazu regelmäßig Aufsätze auf dem Blog „The Postliberal Order“. Wer sich eine geschlossen homogene Weltsicht erwartet wird enttäuscht sein, denn die Tiefe der intellektuellen Debatte erlaubt viele Meinungsverschiedenheiten. Was jedoch alle Beiträge eint ist der Wunsch nach einer konservativen Bewegung mit Rückgrat.

Peter Thiel ist jedoch mehr als nur ein Financier dieser neuen Bewegung und engagiert sich auch inhaltlich. In einem 2019 veröffentlichten Essay mit dem Titel „The Straussian Moment“ legt er seine Weltsicht dar, und es ist verblüffend, dass dieser in keinem einzigen der in den deutschsprachigen Medien erschienenen Porträts erwähnt wird. Thiel sieht die westliche Zivilisation in der Krise und bezweifelt, dass die Antwort auf darauf rein ökonomisch gelöst werden kann. Er ist weniger ein Feind der Demokratie und der freien Marktwirtschaft sondern stellt die interessante Frage, ob der Markt alle politischen und sozialen Fragen lösen kann und ob die liberale Demokratie wie sie im Westen besteht nicht zusehends in eine falsche ideologische Richtung abdriftet.

Die Angst der Linken ist durchaus nachvollziehbar

Vieles was als liberal oder demokratisch bezeichnet wird ist in Wirklichkeit reine linke Ideologie, welche mit universalen Begriffen außer Diskussion gestellt werden soll. Thiel und die postliberalen Nationalkonservative wollen diese Diskussion wieder aufnehmen, und (ich vermute) auch Sebastian Kurz könnte hier eine Rolle spielen.

Der Ex-Kanzler hat nicht dasselbe ideologische Niveau wie Thiel oder seine Mitstreiter, aber er verfügt über ein gutes Netzwerk, ist rhetorisch trittsicher und zumindest intuitiv wenn auch nicht notwendigerweise intellektuell Teil des globalen Konservatismus. Die beschriebene Nationalkonservative Bewegung hat die Ambition sich auch außerhalb der USA zu etablieren, was spätestens nach dem mehrstündigen Interview von Tucker Carlson mit Viktor Orban offensichtlich wurde.

Sebastian Kurz könnte mit seinem Talent zur Selbstvermarktung möglicherweise der Vertreter dieser neuen Ideologie in Westeuropa werden – und dann könnte ich die Angst der Linken durchaus verstehen.

Ralph Schöllhammer ist Assistenzprofessor für Volkswirtschaftslehre und Internationale Beziehungen an der Webster Privatuniversität Wien. Auf Twitter unter @Raphfel sowie auf seinem Podcast “The Global Wire” kommentiert er regelmäßig das globale wirtschaftliche und politische Geschehen.