Als der chinesische Kaiser Qianlong 1793 eine britische Delegation empfing, ließ der dem britischen König George III ausrichten, dass China kein Interesse and engeren Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich oder anderen europäischen Nationen habe, da die chinesische Zivilisation allen anderen derart überlegen sei, dass man im besten Falle Tributzahlungen akzeptieren würde. Qianlong verstarb 1799 und konnte daher nicht mehr miterleben wie im Zuge der Opiumkriege im 19. Jahrhundert es nicht die Europäer, sondern das Reich der Mitte war, welches tributpflichtig wurde. Die Hybris des chinesischen Kaisers war jedoch nicht ganz unberechtigt: Für den größten Teil der Menschheitsgeschichte war es China, wo Innovation und Fortschritt stattfanden. Der moderne, auf einer effizienten Bürokratie aufbauenden Staat wurde erstmals in der Qin Dynastie 221 vor Christi ausgetestet, und auch wenn die Europäer zu Recht stolz auf ihr griechisch-römisches Erbe sind, so ist der zentralisierte Staat wie wir ihn heute kennen ursprünglich eine chinesische Erfindung. Auch auf eine Tradition als Entdecker und Seefahrer darf China zurückblicken: Die Flotte des chinesischen Eunuchen Zheng He bereiste zwischen 1405 und 1433 die halbe Welt mit Schiffen gegen die Christopher Columbus Flaggschiff Santa Maria wie eine kaum seetaugliche Nussschale wirken musste. Vom Buchdruck bis zum Schießpulver war China führend, und man machte sich in Peking wahrscheinlich schon zu Zeiten von Marco Polo über die Kleinstaaterei der zankenden Europäer lustig – oder nahm sie zumindest nicht als Bedrohung war.

Der Respekt für Europa hält sich in Grenzen

Es ist ein Klischee, dass sich Geschichte wiederholt, ebenso wie es ein Klischee ist, dass jene die nicht aus der Geschichte lernen dazu verdammt sind, ihre Fehler zu wiederholen. Aber in jedem Klischee steckt auch ein Körnchen Wahrheit, und so sollte die chinesische Erfahrung auch dem Westen als Mahnung dienen. Von Washington bis Berlin hat sich eine Mentalität durchgesetzt, dass der Status Quo unveränderlich sei und die momentane Weltordnung bis ans Ende der Zeit Bestand haben wird. Nur so lassen sich die teilweise absurden Politpräferenzen der westlichen Eliten erklären. Über 40% der chinesischen Universitätsabsolventen kommen aus sogenannten MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) Fächern, während es in den USA und Europa knapp 18% sind. Man ist sich in Peking bewusst, dass ein Großteil des Wettbewerbs (und der Kriegführung) in Zukunft im Cyberspace stattfinden wird, und eine naturwissenschaftliche Ausbildung der nächsten Generation ein strategisches Muss ist. Im Westen diskutiert man inzwischen ob Mathematik rassistisch sei oder nicht.

Während man in Deutschland von der Zukunft im Lastenfahrrad und in Österreich vom Ende des PKW träumt, testet China eine Magnetschwebebahn mit Spitzengeschwindigkeiten von über 600 km/h. Die Technik dazu kommt übrigens größtenteils aus Deutschland, aber die Umsetzung von Innovation hat in Europa keinen Stellenwert mehr, und neue Ideen werden von einem immer größer werdenden bürokratischen Moloch abgewürgt. Man muss schon sehr weit in die Realitätsferne entrückt sein um zu glauben, dass diese Verschiebungen keine politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen haben würden.

Man kann aber nicht eine Großmacht von morgen sein, wenn man in allen Zukunftsindustrien zurückfällt.

Als Reaktion auf meinen letzten Kommentar, dass mit einer Annexion Taiwans China die globale Halbleiterproduktion kontrollieren würde, schrieb mir ein Leser voller Optimismus weshalb das kein Problem sei: Dann müssten wir halt wieder in Europa produzieren. Ich würde diese Einstellung gerne teilen, sehe aber nicht wie Staaten die für den Bau eines Flughafens 14 Jahre brauchen (Berlin) plötzlich eine Halbleiterproduktion aus dem Boden stampfen sollen.

Darüber hinaus ist die Annahme, dass China nur die Werkbank für die Spielzeuge des Westens sei schon längst überholt. In nahezu allen Kategorien führt China laut der World Intellectual Property Organization bei den weltweiten Patentanmeldungen und auch wenn man diese Zahlen mit Vorsicht interpretieren sollte, kann es keinen Zweifel geben, dass sich China zunehmend vom Produzenten zum Innovator wandelt. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass dieser Artikel auf einem Huawei Handy gelesen wird und nicht auf einem Modell von Siemens oder Nokia – weil letztere schlichtweg kaum noch existieren. Auch im Bereich der 5G Technologie müssen europäische Unternehmen mittlerweile zu ihren chinesischen Konkurrenten aufschließen, und der Grund weshalb in Europa vermehrt Verträge zu Netzwerkausbau an Ericsson und Nokia vergeben werden hat politische und weniger technologische Gründe. Offensichtlich hat man auch in Brüssel durchschaut, dass man die europäische Kommunikationsinfrastrukur nicht völlig an halbstaatliche chinesische Konzerne übergeben sollte. Auch bei digitalen Zahlungsmöglichkeiten und Währungen findet der globale Wettbewerb praktisch unter Ausschluss Europas statt, während sich die USA und China in der Arena des digitalen Geldes eine immer härter werdende Auseinandersetzung liefern.

Europa befindet sich in einem ähnlichen Glauben wie Qianlong 1793 und sieht nicht, wie sich die globalen Machtverhältnisse zusehends verschieben. Man kann aber nicht eine Großmacht von morgen sein, wenn man in allen Zukunftsindustrien zurückfällt.

Ralph Schöllhammer ist Assistenzprofessor für Volkswirtschaftslehre und Internationale Beziehungen an der Webster Privatuniversität Wien. Auf Twitter unter @Raphfel sowie auf seinem Podcast “The Global Wire” kommentiert er regelmäßig das globale wirtschaftliche und politische Geschehen.