Sandra Kostner, eine deutsche Historikerin und Soziologin, engagiert sich gegen Identitätspolitik und Cancel Culture. Sie ist nicht die Einzige, die sich Sorgen macht. Kostner gründete das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit und kämpft zusammen mit mittlerweile einigen hundert weiteren Wissenschaftlern und Hochschullehrern für die Freiheit von Forschung und Lehre, denn die Cancel Culture- und Wokeness-Ideologie ist längst zum gefährlichen Wahn geworden. Die Freiheit der Wissenschaft und Lehre ist bedroht.

Die Erfahrungen aus Nationalsozialismus und Kommunismus haben Politiker der einst freien Welt dazu veranlasst, ihre Universitäten möglichst unabhängig von radikalen Ideologen und Sektierern zu halten. Bei uns wird eine Ideologie sogar ausdrücklich per Gesetz verbannt, der Nationalsozialismus. Den Kommunismus hat man übergangen, denn eine Ächtung war und ist aus politischen Gründen nicht möglich.

Stay woke!

Innerhalb weniger Jahre ist alles anders geworden. Cancel culture, Political correctness und wokeness (die Sprache zeigt den Ursprung im Westen) führen immer öfter dazu, dass sich Hochschullehrer, Künstler, Politiker und andere Menschen in der Öffentlichkeit gut überlegen müssen, was sie sagen, was sie schreiben und welche Publikationen sie empfehlen. Angst beherrscht die Universitäten, die Parteien, die Redaktionen. Die Gesellschaften des Westens werden ermahnt, wachsam zu sein. Neudeutsch: woke. Das ist ein englisches Wort mit afrikanischen Wurzeln. „Stay woke“ verlangt ein „erwachtes“ Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeit und Rassismus. Es geht um ein radikales, manchmal auch militantes, Eintreten für Minderheiten. Typische Woke-Aktivitäten sind Black-Lives-Matter, LGBTIQ und andere.

Inzwischen hat die Woke-Bewegung zu den Methoden vergangener Zeiten aufgeschlossen. Die Opfer des Wokismus werden zum Glück nicht in Konzentrationslager und GULAGs verschleppt, sondern „nur“ ruiniert. „Man merkt immer mehr, dass man ein Problem hat, wenn man bestimmte Themen aufgreift“, sagt die Historikerin Sandra Kostner. Wissenschaftler können gewisse Themen zwar behandeln, dann aber müssen sie akzeptieren, dass sie nicht mehr zu Tagungen eingeladen werden. Sie werden im Wissenschaftsbetrieb bestenfalls ignoriert, meist jedoch aggressiv gemobbt. Es regiert die Cancel Culture. „Freiheit“, so Kostner, „ist heute kein individuelles Grundrecht mehr.“

Das wichtigste Wort der Wokies ist „Diskriminierung“. Früher bedeutete Diskriminierung, eine oder mehrere Personen absichtlich zu beleidigen oder schlecht zu behandeln. Heute ist bereits jemand diskriminierend, der die korrekte Woke-Sprache nicht benutzt oder über die vielen inneren Widersprüche der Woke-Ideologie spricht.

Frei erfunden

Widersprüche in der Sekte der korrekten Wokies aufzuzeigen, ist leicht. Da gibt es beispielsweise eine Vorarlberger Brauerei mit Namen „Mohren“. Der Name des Brauereigründers (Johann Mohr) allein ist schon ein Woke-Sakrileg. Schlimmer ist das zweieinhalb Jahrhunderte alte Gasthaus- bzw. Brauereiwappen, das den dunkelhäutigen Heiligen Mauritius zeigt. Das davon abgeleitete Bild auf dem Flaschenetikett gilt  – was sonst! – als diskriminierend, weil es angeblich ein Stereotyp abbildet. Was daran tatsächlich diskriminierend sein soll, weiß niemand. Der Vorwurf ist frei erfunden.

Unter der Internetadresse americanindian.si.edu findet man das „National Museum of the American Indian“. Das Wort „Indian“ kommt auf dieser Internetseite Dutzende Male vor. Es gibt auch eine amerikanische Motorradmarke namens „Indian“ und sogar einen Hollywoodfilm für Motorradfans – wie ich einer bin. „The World’s Fastest Indian“ von Regisseur Roger Donaldson mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle ist ein sehenswerter, geradezu wundervoller Film nach einer wahren Begebenheit. Indian ist das englische Wort für Indianer. Bei den Linken ist das bereits ein Gedankenverbrechen. Bettina Jarasch, eine grüne deutsche Politikerin, verwendete vor einem Jahr das Wort „Indianerhäuptling“ und wurde von ihrer Partei wutentbrannt niedergemacht. Das Wort Indianer sei angeblich diskriminierend und rassistisch. Jarasch musste sich entschuldigen. Wofür, das wissen nur die Wokies.

Behinderte

Ärgerlich ist auch die Mode, bestimmte Eigenschaften durch die korrekt-wokige Konstruktion „Menschen mit …“ zu umschreiben. Behinderte sind beispielsweise „Menschen mit besonderen Bedürfnissen.“ Das sind Wortblasen, denn blinde Menschen oder Rollstuhlfahrer sind selbstverständlich behindert. Diese Aussage hat nichts mit Diskriminierung zu tun. Wenn das Wort „Frauen“ durch „Menschen, die menstruieren“ ersetzt werden soll, würde ich mich als Frau lautstark aufregen. Die Diskriminierungsjäger merken in ihrer aufgesetzten Entrüstung nicht, dass sie bestimmte Menschengruppen lächerlich machen. Die Neusprech- und Woke-Ideologie hat mit Schutz vor Diskriminierung nichts zu tun, es ist eine nutzlose Beschäftigung für Dauerempörte. Sie wurde von Leuten, die für sinnvolle Arbeit nicht zu gebrauchen sind, zur Drangsalierung noch freier Menschen erfunden.

Könnte es sein, dass „woke“ die Abkürzung für „wicked obscene kidding exorbitance“ ist?

Rudolf Öller ist promovierter Genetiker der Universität Tübingen und seit Jahrzehnten sowohl als Kolumnenschreiber als auch als Buchautor publizistisch tätig. Öller ist gebürtiger Oberösterreicher, hat in AHS und BHS Naturwissenschaften und Informatik unterrichtet und war ehrenamtlicher Rettungssanitäter, Blaulichtfahrer und Lehrbeauftragter beim Roten Kreuz. Er lebt heute in Vorarlberg.