Sputnik und Gagarin

Die letzten Erfolge der Russen – damals war Russland noch die Sowjetunion mit einer Handvoll kleiner Satelliten – liegen lange zurück. Den Sowjets war es gelungen, insgeheim Raketen und Raumschiffe zu entwickeln. Der Westen, allen voran die Amerikaner, fielen aus allen Wolken, als die Sowjetunion den ersten Satelliten (Sputnik), den ersten Mann (Juri Gagarin) und die erste Frau (Walentina Tereschkowa) in eine Erdumlaufbahn schossen. Es folgten die erste Raumsonde (Lunik 1) und der erste Weltraumspaziergang durch den Kosmonauten Alexei Leonow.

Die Weltraumerfolge der Russen waren das Werk nur eines genialen Ingenieurs und Organisators. Der brillante Genosse war kein Russe, sondern der Ukrainer (!) Sergei Pawlowitsch Koroljow. Er war der kongeniale Rivale des Raketenbauers Wernher von Braun. Nachdem Koroljow nach einem chirurgischen Eingriff im Jänner 1966 verstorben war, stagnierte die sowjetische Raumfahrt. Während die USA mit ihrer Saturn V-Rakete Triumphe feierten und Europa mit der Ariane-Raketenserie aufholte, explodierten zwischen Februar 1969 und November 1972 vier Exemplare der 105 Meter hohen sowjetischen Mondrakete N1. Die in Russland entwickelte Mondlandefähre stellte sich später als Fehlkonstruktion heraus. Hätte die N1-Rakete funktioniert und wäre der für die erste Mondlandung auserwählte Kosmonaut Leonow tatsächlich zum Mond geflogen, er wäre am Mond zerschellt. Der Niedergang der sowjetischen Raumfahrt war die erste große Demütigung der Sowjetunion nach dem 2. Weltkrieg. Als die letzte N1-Rakete explodierte, war Wladimir Putin zwanzig Jahre alt.

Farewell

Oberst Wladimir Wetrow war ein KGB-Agent im Westen. Er sollte für die Sowjetunion Computerchips und Software stehlen, denn die Russen hatten kein Silicon Valley. Wetrow war Alkoholiker, daher wurde er nach Moskau zurückberufen und erhielt einen vermeintlich harmlosen Schreibtischjob. Das empfand er als Demütigung und plante Rache. Er nützte seine alten West-Kontakte und versorgte französische Agenten mit exklusiven Informationen. Wetrow bekam vom französischen Geheimdienst DST (Direction de la Surveillance du Territoire) den Decknamen „Farewell“, worauf tausende geheime Dokumente an Marcel Chalet, den Chef von DST, geliefert wurden. Chalet informierte Präsident Mitterand, der wiederum alle Details an US-Präsident Reagan weitergab.

Wetrow wurde der Alkohol zum Verhängnis. Nachdem er wegen Totschlags und Körperverletzung ins Gefängnis gesteckt worden war, verplapperte er sich. Er wurde wegen Hochverrats angeklagt und 1985 hingerichtet. Da war es aber schon zu spät. Die CIA wusste alles über die inneren Strukturen des sowjetischen Militärs und aller Geheimdienste, einschließlich des KGB.

Präsident Reagan nutzte die Informationen und beschloss 1981, den Sowjetkommunismus in die Knie zu zwingen. CIA-Chef Bill Casey war damals der Vorsitzende des „Foreign Denial and Deception Committee“ (FDDC) der CIA, einem Gremium, das Verschleierung und Betrug zu Operationsmethoden machte. Dieses Komitee benützte den eingeweihten Oberst Wetrow noch vor dessen Hinrichtung dazu, die Sowjets mit defekter Hard- und Software zu versorgen. Das CIA-Komitee war lange Zeit ein Phantom. Erst Jahre später sprach der ehemalige Verteidigungsminister Caspar Weinberger in einem Interview über die Aktivitäten von Caseys Sabotagetruppe. Es wurde zugegeben, dass der Sowjetunion fehlerhafte Computer geliefert worden waren. Zusätzlich bekamen die Kommunisten mit Hilfe von Oberst Wetrow Computerprogramme, die mit Computerviren verseucht waren. So ein CIA-Virus hat beispielsweise die gigantische Explosion der Jamal-Pipeline in Sibirien im Sommer 1982 verursacht.

Zusammenbruch

Oberst Wetrows Verrat, Präsident Reagans Computer-Offensive und der legendäre NATO-Doppelbeschluss führten zum krachenden Ende des Sowjetkommunismus.

Wladimir Putin war damals ein kleiner Beamter des KGB in Ostberlin. Der KGB verstand sich immer als Schwert und Schild der Partei. Für Putin war der Zusammenbruch des ehemals machtvollen Systems die Katastrophe seines Lebens. Später wurde er nach Russland berufen und stieg in der Hierarchie nach oben. Als Präsident Boris Jelzin erkannte, dass er wegen seines exzessiven Alkoholismus nur noch wenige Jahre zu leben hatte, bestimmte er den noch jungen Putin zum Nachfolger.

Nachdem Wladimir Putin im Jahr 2000 Präsident der Russischen Föderation geworden war, erlebte er mehrere Demütigungen. Die schlimmste war der Untergang des atomaren U-Boots K-141 „Kursk“ in der Barentsee.

Haut ab!

Die schmerzvollsten Demütigungen sind offen gezeigte Verachtung und Kränkungen. Es sei hier nur ein Beispiel (für viele) angeführt. In Lettlands Hauptstadt Riga steht im Stadtzentrum ein mehrere Meter großer Affe namens „Sam“ in einem Kosmonautenanzug. Die Skulptur des Künstlers Denis Prasolov ist eine demütigende Botschaft an die ehemaligen Besatzer: Haut bloß ab, Russen, und kommt nie wieder!

Putin weiß das alles, trotzdem will er seine alte Welt zurück, die nie glorreich war und die auch nie wiederkommen wird, auch wenn er noch so viele Oppositionelle einsperren und noch so viele Panzer auffahren lässt. Der Einmarsch in die Ukraine wird Russland jedenfalls weit zurückwerfen. Russland ist ein großes aber technologisch und wirtschaftlich schwaches Land, dessen Exporte nur Rohstoffe sind. Welche Strategie verfolgt Putin? Keine.

Apropos Demütigung: Der Versuch durch die EU, Polen und Ungarn politisch zu demütigen, kann nur pompös scheitern. Die oberlehrerhafte Behandlung von Großbritannien durch die Merkelpolitik ist bereits schiefgelaufen. Die Engländer haben die EU verlassen. Ob die EU in Sachen Demütigung einiger ihrer Mitglieder Lehren ziehen wird? Es gilt das Hoffnungsprinzip.