Während der Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts entstand eine nicht genau definierbare Kunst- und Wissenschaftstheorie, die so genannte „Postmoderne“, wobei sich erste Ansätze bereits in den Dreißigerjahren finden. Die Postmoderne ist die Ideologie der Schlampigkeit: Alles ist irgendwie richtig oder auch falsch, es ist egal. Einer ihrer bekanntesten Vertreter ist der österreichisch-amerikanische Philosoph Paul Feyerabend, der in Büchern wie „Against Method“ („Wider den Methodenzwang“) oder „Science and Free Society“ („Erkenntnis für freie Menschen“) verkündete: „Anything goes“. Die Parole wurde im Deutschen mit „alles ist möglich“ übersetzt und war in den Blasen für betreutes Denken besonders erfolgreich. Was zur Kunst und Kultur erklärt wurde, war Kunst und Kultur. Wer nicht mitmachte, wurde für reaktionär erklärt. Das waren die ersten Vorläufer der heutigen cancel culture.

Realitätsphobien

In den Naturwissenschaften ist die Sache wegen des korrigierenden Elements der Überprüfbarkeit wesentlich schwieriger. Das ist der Grund, warum sich die Anhänger der Postmoderne im Laufe der Jahrzehnte ihre eigenen „Wissenschaften“ bastelten, deren Inhalte nur aus Realitätsphobien bestehen. Dazu zählen Konstruktivismus, Genderismus und andere Bereiche. Konstruktivisten halten alle Erkenntnisse für Produkte politischen Handelns. Sogar Naturgesetze zählen dazu. Die Lichtgeschwindigkeit – rund 300 Millionen Meter pro Sekunde – und alle anderen Naturgesetze wären demnach nicht die Produkte von Messungen, sondern wurden nach der postmodernen Vorstellung willkürlich „konstruiert“.

Impertinenz

Konstruktivisten finden sich in Kulturwissenschaften, insbesondere unter Psychologen, Soziologen und verwandten Fachgebieten. Diesen Leuten war die Macht der Naturwissenschaften immer schon ein Dorn im Auge. Im Jargon der Postmoderne wurden die Naturwissenschaften immer wieder kritisiert. Die Impertinenz, Naturgesetze demokratiefrei zu formulieren, wird Biologen, Chemikern und Physikern nach wie vor nicht verziehen.

Es fanden sich immer wieder Naturwissenschaftler, die sich öffentlich über Konstruktivisten und Genderisten lustig machten. Berühmt wurde der Jux des amerikanischen Physikers Alan Sokal, der den Vertretern der „Cultural Studies“ ein faules Ei legte. Sokal schrieb einen haarsträubend dummen Artikel und reichte ihn im Frühjahr 1996 bei einer postmodernen Zeitschrift ein. Der Artikel erschien. Sokal behauptete, dass die Naturwissenschaften ein konstruierter Schwindel seien, dass dies die Quantenphysik längst bewiesen habe und dass Naturgesetze in Wahrheit nicht existierten. Jeder durchschnittliche Student der Physik hätte den Aufsatz als Blödsinn entlarven können.

Der Text wurde in den Feuilletons zahlreicher Zeitungen und Magazine mit Begeisterung diskutiert, bis Alan Sokal in einer anderen Zeitschrift bekannt gab, dass es sich um eine Parodie handle. Sokal hatte die postmodernen Phrasendrescher mit Hilfe ihrer eigenen „Wissenschaft“ vorgeführt. Leider ist die postmoderne Ideologie, wonach alles möglich sei, nicht aus der Welt verschwunden. Eher im Gegenteil. Postmoderne Dummheit hat den Marsch durch die Institutionen bis nach oben geschafft, was zahlreiche Beispiele zeigen.

Schuss ins Knie

Der schlimmste Schuss ins eigene Knie durch postmoderne EU-Parlamentarier war der kürzlich von den linken Parteien mit Mehrheit durchgebrachte Antrag, dass in zwölf Jahren keine benzin- oder dieselgetriebenen Fahrzeuge mehr verkauft werden dürfen. Von diesem Verbot sind nicht einmal Bio-Kraftstoffe oder Hybrid-Autos ausgenommen. Dieser Parlamentsbeschluss tritt zwar erst dann in Kraft, wenn ihm auch die Regierungen der EU-Staaten zustimmen, aber das ändert nichts am Entsetzen vieler Bürger über das weltfremde EU-Parlament. In zwölf Jahren sollen wir also alle elektrisch oder mit Wasserstoffgas fahren. Nur die Allernaivsten glauben, dass Europa das in so kurzer Zeit schaffen kann, denn für sie ist ohnehin alles konstruiert, auch die Gesetze der Physik.

Manchmal schaffen es postmoderne Phantasten sogar bis in die Chefetagen. Ein besonders groteskes Beispiel ist eine Firma für Flugzeugbau – der Name tut nichts zur Sache. Postmoderne Manager beschlossen, von ihren Ingenieuren ein Lufttaxi entwerfen und bauen zu lassen. Das sei ganz einfach, meinten sie, man müsse nur die kleinen Drohnen mit den Kameras, die es längst gibt, größer bauen. Personen sollten – natürlich elektrisch – von Innenstädten zu den Flughäfen transportiert werden. Man hängte dem Projekt die Ausdrücke „innovativ“ und „nachhaltig“ um, und schon stieg die Begeisterung ins Unermessliche. Das war im Jahr 2015.

Die Techniker, die sich der Megadrohne annahmen, merkten schnell, dass die Sache nicht funktionieren kann. Nicht wegen deren Unfähigkeit, sondern wegen der von postmodernen Zeitgenossen so verschmähten Naturgesetze. Kleine Systeme kann man nicht ohne gravierende Neuentwicklungen um ein Vielfaches größer bauen. Der Hemmschuh war in diesem Fall das viel zu hohe Gewicht der Batterien. Einige Manager meinten, die Ingenieure sollten nicht kleinkariert sein, sondern endlich größer denken lernen.

Vier Jahre später sollte ein Prototyp vor eingeladenen Honoratioren starten. Die Megadrohne hob wenige Zentimeter vom Boden ab, begann zu qualmen und sank wieder zu Boden. Die verrauchte Szene, die an einen Film von Stan Laurel und Oliver Hardy erinnerte, war kein unglücklicher Vorführeffekt. Sie war das Resultat postmoderner Träumer.

Postmoderne Manager produzieren auch in der Privatwirtschaft Schäden, was in erster Linie ihren Firmen und Geldgebern auf den Kopf fällt. In der Politik richten postmoderne Knallchargen regelmäßig Schäden an, die uns alle betreffen. Zum Dank werden sie gewählt, manchmal sogar mehrmals.

Rudolf Öller ist promovierter Genetiker der Universität Tübingen und seit Jahrzehnten sowohl als Kolumnenschreiber als auch als Buchautor publizistisch tätig. Öller ist gebürtiger Oberösterreicher, hat in AHS und BHS Naturwissenschaften und Informatik unterrichtet und war ehrenamtlicher Rettungssanitäter, Blaulichtfahrer und Lehrbeauftragter beim Roten Kreuz. Er lebt heute in Vorarlberg.