Der russische Außenminister Sergej Lawrow erklärt im Interview mit der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti: “Jetzt hat sich die Geographie geändert. Es geht nicht nur um Donezk und Luhansk, sondern auch um Cherson, Saporischschja und einige andere Gebiete. Und dies ist ein fortlaufender Prozess, konsequent und beharrlich.”

Lawrow begründet neue Ziele mit Langstreckenwaffen

Die Ziele von Moskaus “spezieller Militäroperation” in der Ukraine sind demnach nicht mehr auf die östliche Donbass-Region beschränkt, sondern auch auf eine Reihe anderer Gebiete. Lawrow fügte hinzu: “Wenn westliche Länder Langstreckenwaffen an die Ukraine liefern, werden sich [diese Ziele] noch weiter verschieben.” Er brachte damit die Änderung der Ziele mit den Waffenlieferungen des Westens an Kiew in Verbindung.

Russland könne nicht akzeptieren, dass “in jenen Teilen der Ukraine, die [Präsident Wolodomyr] Selenskyj oder derjenige, der ihn ersetzen wird, kontrolliert, Waffen vorhanden sind, die eine direkte Bedrohung für unser Territorium und das Territorium der [ostukrainischen] Republiken darstellen, die ihre Unabhängigkeit angekündigt haben”.

Hinweise auf dauerhafte Besetzung durch Russland

Die Lieferung von HIMARS-Mittelstreckenraketensystemen durch die Vereinigten Staaten im vergangenen Monat hat es der Ukraine ermöglicht, russische Stellungen jenseits der Frontlinien häufiger und mit größerer Genauigkeit anzugreifen. Nach Ansicht von Experten sind die Äußerungen Larows ein wichtiges Signal dafür, dass Moskau versucht, die süd- und ostukrainischen Gebiete zu annektieren, die es während seiner fünfmonatigen Invasion erobert hat.

Trotz der Behauptungen von Präsident Wladimir Putin, Russland beabsichtige nicht, ukrainische Gebiete dauerhaft zu besetzen, haben Beamte in den von Moskau eingesetzten Verwaltungen der ukrainischen Regionen Cherson und Saporischschja von Plänen zur Durchführung von Referenden über den Anschluss an Russland gesprochen. “Die Legitimierung der Referendumsvorbereitungen scheint begonnen zu haben”, twitterte die politische Analystin Tatjana Stanowaja, Gründerin der Denkfabrik R.Politik.

Raketen nur ein Vorwand?

Russland hatte seine Ziele in der Ukraine bereits im April nach einem gescheiterten Versuch, die Hauptstadt Kiew zu stürmen, neu kalibriert und sich auf den Osten des Landes konzentriert. Das stieß auf teils scharfe Kritik russischer Nationalisten und Kriegsbefürworter. Am 19. Juli erreichten ihre Forderungen an Putin, die Kriegsziele Russlands auszuweiten, einen Höhepunkt.

Ex-Militärkommandant kritisiert mangelnden Ehrgeiz des Kreml

Der ehemalige russische Militärkommandant Milblogger Igor Girkin stellte eine umfangreiche Liste militärischer, wirtschaftlicher und politischer Maßnahmen vor, die der Kreml seiner Meinung nach ergreifen müsse, um den Krieg in der Ukraine zu gewinnen. An erster Stelle steht der Verzicht auf die Rhetorik der “besonderen Militäroperation” und die Definition der offiziellen Ziele des Krieges in der Ukraine. Girkin sprach sich für weitreichende territoriale Ziele aus, die über die erklärten Ambitionen des Kremls im Donbass hinausgehen, darunter die Wiedervereinigung des gesamten Gebiets von Noworossija” (zu dem laut Girkin Charkiw, Dnipropetrowsk, Mykolaiv, Odessa, Saporischschja, Cherson, Donezk und Luhansk sowie Kryvyi Rih gehören) mit der Russischen Föderation und die Schaffung eines Staates Malorossija (die gesamte Ukraine bis zur polnischen Grenze), der nach Girkins Ansicht über den Unionsstaat Russland-Weißrussland mit Russland wiedervereinigt werden sollte.

Girkin forderte den Kreml darüber hinaus auf, die russische Wirtschaft vollständig auf Krieg umzustellen und umfassende Mobilisierungsmaßnahmen durchzuführen, einschließlich der Zwangsrekrutierung. Girkin hat oft kritisiert, was er als Mangel an Ehrgeiz und entschlossenem Handeln im Umgang des Kremls mit dem Krieg in der Ukraine ansieht.