Seit einem Jahr – oder besser gesagt: seit den Russland-Sanktionen – boomt der Handel zwischen Russland und Indien wie noch nie. Die russischen Exporte haben sich fast verfünffacht und beliefen sich im Zeitraum April bis Dezember 2022 auf 32,8 Milliarden Dollar, verglichen mit 6,6 Milliarden Dollar im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Das geht aus der jüngsten detaillierten Aufstellung der indischen Generaldirektion für Außenhandel hervor.

Dies ist vor allem auf den Energiehandel zurückzuführen: Fast 17 Prozent der indischen Rohöleinfuhren und 9 Prozent der Kohleeinfuhren kamen aus Russland. Russland war 2022 die viertgrößte Importquelle Indiens, zuvor lag es auf Platz 21.

Russland will Abhängigkeit zu China ausgleichen

Tatsächlich pflegen Moskau und Neu-Delhi schon seit Jahren enge politische Beziehungen. Seit langem kauft Indien darüber hinaus russische Militärausrüstung. Dennoch blieb der Handel zwischen den beiden Ländern in den vergangenen zehn Jahren bescheiden. Das änderte sich erst mit der Ukraine-Invasion, als sich Indien geweigert hat, Russlands Angreiffskrieg zu verurteilen.

Russland möchte die Zusammenarbeit mit Indien intensiveren – als Gegengewicht zu China.APA/AFP/SPUTNIK/Alexandr Demyanchuk

Seither ist Indien für Russland ein interessanter Partner, denn der Kreml versucht zurzeit seine zunehmende Abhängigkeit von China auszugleichen. „Ein größeres wirtschaftliches und politisches Engagement mit Indien ist ein großer Gewinn für Moskau, sagt Chris Weafer, CEO des in Moskau ansässigen Unternehmens Macro-Advisory gegenüber dem Wochenmagazin „Nikkei Asia“. „Nicht nur, dass sich dadurch möglicherweise ein größerer Energiemarkt als Europa öffnet, sondern eine verstärkte Beziehung kann auch ein Gegengewicht zu China bilden und verhindern, dass Moskau in eine unterwürfige Rolle gegenüber seinem östlichen Nachbarn abgleitet.“

Zusammenarbeit in vielen Bereichen vielversprechend

Moskau will nun die Zusammenarbeit mit der aufstrebenden südasiatischen Macht in anderen Bereichen auszuweiten. Eine offizielle russische Delegation wird im April nach Indien zu einer Sitzung reisen zwecks russisch-indischer Zusammenarbeit in sämtlichen Bereichen, ob Handel, Wirtschaft oder Wissenschaft.

Ein Vertreter von Rosatom, dem staatlichen russischen Atomenergieunternehmen, gab kürzlich bekannt, dass man mit den indischen Behörden über den Bau von sechs neuen Kraftwerken im Lande verhandle, zusätzlich zu den laufenden Arbeiten in der Anlage Kudankulam im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu.

Mitarbeiter der staatlichen russischen Atomenergiebehörde Rosatom versorgen den ersten von zwei Reaktoren des Kernkraftwerks Ostrovets.APA/AFP/Russlands staatlicher Atomenergiebehörde Rosatom/Foto von Handout

Die Ernährungssicherheit ist ein weiterer vielversprechender Bereich. Russland ist ein weltweit bedeutender Produzent von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Düngemitteln. Der indische Markt hat einen Teil der aus Europa umgeleiteten Exporte aufgenommen. Die Verkäufe von Düngemitteln nach Indien stiegen von April bis Dezember 2022 sprunghaft auf 2,1 Milliarden Dollar gegenüber 376 Millionen Dollar im entsprechenden Zeitraum 2021.

Indien zögerlich wegen Krieg und Sanktionen

Dennoch bleiben für Indien Ukraine-Krieg, Sanktionen und geopolitische Spannungen mittel- bis langfristig ein großes Hindernis. Zurzeit hält die Androhung von zusätzlichen Strafen für Drittländer, die Geschäfte mit bestimmten Regimen, Personen oder Organisationen machen, indische Privatunternehmen davon ab, den Handel mit ihren russischen Partnern aktiv zu betreiben. Auch der Energiehandel könnte zurückgehen, sollte sich Indien der russischen Ölpreisbindung anschließen.