
Ruth Pauli: Der Krieg auf der Straße und die Moral
Vor dem Gesetz sind alle gleich, nur bei der Straßenverkehrsordnung gibt es die Gleicheren: Radfahrer und E-Scooter-Fahrer. Sie genießen Ausnahmerechte, haben aber gleichzeitig nicht die Pflicht, die Verkehrsregeln zu kennen. Das hat schon Todesopfer gefordert. Dieser Sommer dürfte daher leider wieder ein blutiger werden.
Je schöner das Wetter, desto brutaler der Krieg auf der Straße. Und er wird von Jahr zu Jahr schlimmer – denn neben der vom Gesetzgeber verursachten Gesetzlosigkeit beansprucht die Radfahrer-Armee jetzt auch noch das tief empfundene Recht der höheren Moral für sich.
Viele Gesetze regeln einfach die Linien, entlang derer ein reibungsloses Zusammenleben von Menschen funktioniert. Dort, wo Interessen kollidieren könnten, gibt es allgemeingültige Leitlinien. Und wir leben in einer Gesellschaft, in der wir stolz darauf sind, dass wir alle – vor dem Gesetz – gleich sind.
Radfahrer und E-Scooter-Fahrer haben Sonderrechte ohne Pflichten
Aber ausgerechnet dort, wo es um Leben und Tod geht, gilt das nicht mehr: bei der Straßenverkehrsordnung. Da haben die Volksvertreter die Gleicheren geschaffen. Die Radfahrer und in ihrem Windschatten die E-Scooter-Fahrer. Sie dürfen etwa gegen Einbahnen fahren, sie dürfen sich rechts vordrängen und bei der Ampel vorne anstellen.
Aber mit ihren Ausnahmerechten kam eines nicht: die Pflicht. Nämlich die Pflicht, die Straßenverkehrsregeln zu kennen. Die Elektro-Roller und E-Bikes, aber auch die ganz normalen Fahrräder erreichen zwar enorme Geschwindigkeiten, aber niemand interessiert sich dafür, ob die flotten Pedalritter wissen, was ein Rechtsvorrang ist, was ein Stopp-Schild oder eine rote Ampel bedeuten und welche Regeln beim Abbiegen gelten. Wozu sollte sich auch jemand dafür interessieren, wo doch die Strampler und Treter mangels Nummerntafeln nicht zur Verantwortung zu ziehen sind?
2020 gingen die Unfallzahlen zurück – außer bei den Fahrradfahrern
Die Unfallzahlen sind ein trauriger Spiegel der Folgen dieser bewusst herbeigeführten Gesetzlosigkeit. 2019 verunglückten auf Österreichs Straßen 8167 Radfahrer, 33 davon tödlich. 2020 gingen die Unfallzahlen bei allen Verkehrsmitteln zurück, nur bei den zu Tode gekommenen Radlern (40) gab es allein in den ersten drei Quartalen ein Plus von 21 Prozent. Insgesamt gab es im Vorjahr 10.051 Unfälle mit Radfahrern und 2087 Unfälle mit E-Scootern und E-Bikes. 2020 verletzten sich mehr Radfahrer als in den 30 Jahren davor.
Als Ursachen werden vom Kuratorium für Verkehrssicherheit überhöhte Geschwindigkeit, Rotlicht-Nichtbeachtung, „vergessene“ Handzeichen für die Richtungsänderung, Alkoholkonsum, Selbstüberschätzung und fehlende Kenntnis der Regeln festgemacht. Eben. Aber wer traut sich dagegen etwas zu unternehmen? Etwa verpflichtende Verkehrsordnungs-Kurse zu verlangen oder Kennzeichen- und Helm-Pflicht? Niemand.
Denn es geht auf unseren Straßen nicht mehr um Sicherheit, sondern um Moral.
Wer gegen die Gesetzlosigkeit der Guten einschreitet wird als „Klimaleugner“ abgestempelt
Die Tretroller- und Drahtesel-Armee besteht auf ihrer höherstehenden Moral als Klima-Retter, für die die Autofahrer Untermenschen in CO2-Schleudern sind, die allein die Erderwärmung verursachen. Die grüne Verkehrsministerin und ihre Parteigenossen sehen das ebenso. Und die anderen Volksvertreter trauen sich nicht einzuschreiten – wer die Gesetzlosigkeit der Guten einschränkt, macht sich ja rasch zum „Klimaleugner“.
Nach der Flugscham regiert nun die Autoscham.
Klimafreundliche Politik darf der Radfahrer-Anarchie kein Ende setzen
Dabei wären Verkehrs-Regeln in erster Linie dazu da, die Gefährdung anderer zu reduzieren, die eigene Unversehrtheit zu schützen (auch, wo sie die eigene Unvernunft gefährdet), ein friedliches Miteinander und Rücksichtnahme zu garantieren. Früher nannte man das auch Vertrauens-Grundsatz. Jetzt hält man sich besser an den Misstrauens-Grundsatz.
Und so wird es ein weiterer blutiger Sommer, weil es undenkbar geworden ist, dass man auch klimafreundliche Politik machen kann, wenn man der Radfahrer-Anarchie ein Ende setzt. Wer die Klima-Moral über Menschenleben setzt, erntet vielleicht Applaus von Greta Thunberg. Volksvertreter sollten es aber besser verstehen.
Unbeeindruckt von dystopischen Meinungstrends und spitzzüngig gegen Nonsense-Gerede artikuliert sich auch Ruth Pauli (70). „Erst denken, dann twittern“, warnte die Autorin und langjährige ehemalige Innenpolitik-Redakteurin einmal. Schon früh blickte die gebürtige Wienerin über den österreichischen Tellerrand, ihre Studien- und Forschungsjahre führten sie in die USA, die Sowjetunion und nach Frankreich. Nach der Promotion über russische Literatur arbeitete sie unter anderem bei der „Wochenpresse“, der „Presse“ und dem „Kurier“. Sie brachte mehrere Bücher heraus, ob als Übersetzerin, Autorin oder als Herausgeberin.
Kommentare
ja schon ein bissi reißerisch aufgemacht der Krieg samt Blut usw. Aber anders kriegt man ja keine LeserInnen. Aller muss heute übertrieben werden, sonst gehts unter
1. Es gibt keinen Krieg auf der Straße: die meisten Verkehrsteilnehmer:innen sind freundlich.
2. Kein:e Verkehrsteilnehmer:in hält sich an alle Regeln: Das ist kaum anders möglich und im Normalfall überhaupt kein Problem, die Regeln können nicht zu jeder Situation passen. Im Gegensatz dazu sind Regelverstöße die Menschen gefährden. Daher sollte man ein Augenmerk auf solche Regelverstöße legen.
3. Jede Verkehrsart hat Sonderregelungen, die auf Ihre Besonderheiten Rücksicht nimmt. Das ist gut so. Manchmal sind diese einschränkend für andere. Das trifft besonders auf die Sonderregelungen für Autofahrende zu. Diese sollte man möglichst abbauen. (z.B. Radwegbenützungpflicht = Fahrbahnverbot für Fahrräder))
4. Auch Unfälle von Radfahrenden werden in der Mehrzahl von Autofahrenden verursacht. Ganz zu schweigen von den vielen Toten durch LKW-Fahrende.
Danke Stephan! Sehe ich genauso. Der vermeintliche “Krieg” wird medial inszeniert und geschürt. Durch solche Artikel wie diesen.
“Verkehrsteilnehmer:innen” , “Radfahrenden”, “Autofahrenden”, “Kein:e”
Da greift man sich nur mehr auf den Kopf und fragt sich: Warum? Wo fing es an?
@Stephan: Du hast die Gender*-Sternchen vergessen, du alter, weißer Rassist 😉
Bitte im Sinne der Verkehrssicherheit für die Radfahrer verpflichtend einen Führerschein einführen (ausgenommen sind A und B – Scheinbesitzer) ; analog dazu müssen auch alle E – Biker ebenfalls eine Schulung inkl. Haftpflichtversicherung nachweisen; und ab 80 gibt es ein E – Bikeverbot, unglaublich, welche Menschen da wirklich selbst- und fremdgefährdend unterwegs sind.
wieder ein treffsicherer Artikel! Wer braucht schon in der schönen, bunten, diversen, neuen Welt der Regenbogen-Einhörner Regeln und Vorschriften? Die sind sowas von gestern und nur für die cis-hetero-normativen alten weißen Männern in ihren rauchenden Kisten zwingend notwendig – dann aber bitte in verschärfter Form! Tempo 30 in ganz Wien für alle Verbrenner, Tempo 50 für Elektros und kein Tempolimit für (Lasten-)Radler*:Innen und Scooter*:Innen! ;))
Wenn sie wie die Irren – mit dem gewissen verächtlichen Lächeln eines Gutisten, einer Gutistin oder einfach Andersgut – an den verschmierten und verdreckten Hausfassaden (= Kunst!) vorbeirasen – weiß ich sicher, wir sind am direkten, unumkehrbaren Weg in die Anarchie. Game over. RadlerIn mit Stinkefinger hat immer Vorrang 🙂
Und wenn man an den Radlern vorbeifährt, riecht man auch, wie die schwitzen.