Je schöner das Wetter, desto brutaler der Krieg auf der Straße. Und er wird von Jahr zu Jahr schlimmer – denn neben der vom Gesetzgeber verursachten Gesetzlosigkeit beansprucht die Radfahrer-Armee jetzt auch noch das tief empfundene Recht der höheren Moral für sich.

Viele Gesetze regeln einfach die Linien, entlang derer ein reibungsloses Zusammenleben von Menschen funktioniert. Dort, wo Interessen kollidieren könnten, gibt es allgemeingültige Leitlinien. Und wir leben in einer Gesellschaft, in der wir stolz darauf sind, dass wir alle – vor dem Gesetz – gleich sind.

Radfahrer und E-Scooter-Fahrer haben Sonderrechte ohne Pflichten

Aber ausgerechnet dort, wo es um Leben und Tod geht, gilt das nicht mehr: bei der Straßenverkehrsordnung. Da haben die Volksvertreter die Gleicheren geschaffen. Die Radfahrer und in ihrem Windschatten die E-Scooter-Fahrer. Sie dürfen etwa gegen Einbahnen fahren, sie dürfen sich rechts vordrängen und bei der Ampel vorne anstellen.

Aber mit ihren Ausnahmerechten kam eines nicht: die Pflicht. Nämlich die Pflicht, die Straßenverkehrsregeln zu kennen. Die Elektro-Roller und E-Bikes, aber auch die ganz normalen Fahrräder erreichen zwar enorme Geschwindigkeiten, aber niemand interessiert sich dafür, ob die flotten Pedalritter wissen, was ein Rechtsvorrang ist, was ein Stopp-Schild oder eine rote Ampel bedeuten und welche Regeln beim Abbiegen gelten. Wozu sollte sich auch jemand dafür interessieren, wo doch die Strampler und Treter mangels Nummerntafeln nicht zur Verantwortung zu ziehen sind?

2020 gingen die Unfallzahlen zurück – außer bei den Fahrradfahrern

Die Unfallzahlen sind ein trauriger Spiegel der Folgen dieser bewusst herbeigeführten Gesetzlosigkeit. 2019 verunglückten auf Österreichs Straßen 8167 Radfahrer, 33 davon tödlich. 2020 gingen die Unfallzahlen bei allen Verkehrsmitteln zurück, nur bei den zu Tode gekommenen Radlern (40) gab es allein in den ersten drei Quartalen ein Plus von 21 Prozent. Insgesamt gab es im Vorjahr 10.051 Unfälle mit Radfahrern und 2087 Unfälle mit E-Scootern und E-Bikes. 2020 verletzten sich mehr Radfahrer als in den 30 Jahren davor.

Als Ursachen werden vom Kuratorium für Verkehrssicherheit überhöhte Geschwindigkeit, Rotlicht-Nichtbeachtung, „vergessene“ Handzeichen für die Richtungsänderung, Alkoholkonsum, Selbstüberschätzung und fehlende Kenntnis der Regeln festgemacht. Eben. Aber wer traut sich dagegen etwas zu unternehmen? Etwa verpflichtende Verkehrsordnungs-Kurse zu verlangen oder Kennzeichen- und Helm-Pflicht? Niemand.

Denn es geht auf unseren Straßen nicht mehr um Sicherheit, sondern um Moral.

Wer gegen die Gesetzlosigkeit der Guten einschreitet wird als „Klimaleugner“ abgestempelt

Die Tretroller- und Drahtesel-Armee besteht auf ihrer höherstehenden Moral als Klima-Retter, für die die Autofahrer Untermenschen in CO2-Schleudern sind, die allein die Erderwärmung verursachen. Die grüne Verkehrsministerin und ihre Parteigenossen sehen das ebenso. Und die anderen Volksvertreter trauen sich nicht einzuschreiten – wer die Gesetzlosigkeit der Guten einschränkt, macht sich ja rasch zum „Klimaleugner“.

Nach der Flugscham regiert nun die Autoscham.

Klimafreundliche Politik darf der Radfahrer-Anarchie kein Ende setzen

Dabei wären Verkehrs-Regeln in erster Linie dazu da, die Gefährdung anderer zu reduzieren, die eigene Unversehrtheit zu schützen (auch, wo sie die eigene Unvernunft gefährdet), ein friedliches Miteinander und Rücksichtnahme zu garantieren. Früher nannte man das auch Vertrauens-Grundsatz. Jetzt hält man sich besser an den Misstrauens-Grundsatz.

Und so wird es ein weiterer blutiger Sommer, weil es undenkbar geworden ist, dass man auch klimafreundliche Politik machen kann, wenn man der Radfahrer-Anarchie ein Ende setzt. Wer die Klima-Moral über Menschenleben setzt, erntet vielleicht Applaus von Greta Thunberg. Volksvertreter sollten es aber besser verstehen.

Unbeeindruckt von dystopischen Meinungstrends und spitzzüngig gegen Nonsense-Gerede artikuliert sich auch Ruth Pauli (70). „Erst denken, dann twittern“, warnte die Autorin und langjährige ehemalige Innenpolitik-Redakteurin einmal. Schon früh blickte die gebürtige Wienerin über den österreichischen Tellerrand, ihre Studien- und Forschungsjahre führten sie in die USA, die Sowjetunion und nach Frankreich. Nach der Promotion über russische Literatur arbeitete sie unter anderem bei der „Wochenpresse“, der „Presse“ und dem „Kurier“. Sie brachte mehrere Bücher heraus, ob als Übersetzerin, Autorin oder als Herausgeberin.