Als die weltweite Anti-Raucher-Kampagne Österreich erreichte, gab es zuerst einen absolut klugen Versuch, die Lokale selbst entscheiden zu lassen, ob Raucher willkommen wären oder nicht. Es hätte ja auch jeder Gast entscheiden können, wohin er hätte gehen wollen. Aber da wurde die Gouvernante Staat aktiv und mit dem Versprechen eines ewigen Lebens auf Erden wurde der Glimmstängel aus dem öffentlichen Leben verbannt.

Staatliche und EU-Stellen regeln unser Leben angeblich zu unserem eigenen Schutz bis in kleinste Details. Dem Traktor-Sitz widmet man ellenlange Verordnungen. Welches Fett in Lebensmitteln verarbeitet werden darf, unterliegt einer komplizierten Judikatur. Das Material, aus dem der Strohhalm und das Einkaufssackerl gefertigt werden, ist via Verbot von Plastik von oben dekretiert. Womit ich heize, womit ich mein Auto betreibe, jegliche dieser Entscheidungen nimmt mir der überfürsorgliche Staat ab. Wem ich meine Wohnung vermiete, darf ich mir nicht aussuchen, weil ich gegen ein Diskriminierungsverbot verstoßen könnte.

Wie lange das Volksgesundheits-Risiko Schweinsbraten noch hingenommen wird, ist fraglich, und die Kampagne gegen das Glas Wein, den ersten Schritt in den Alkoholismus, scheint nur auf ihren Startschuss zu warten.

Vater Staat passt gut auf seine unmündigen Kinderchen auf.

Kein Lebensbereich ist ausgespart – der Staat und seine Helfer wissen, was gut für mich ist, und schauen darauf, dass ich das Richtige tue. Und ich darf auch nicht sagen: Ich mache das auf mein eigenes Risiko, ich schädige ja niemanden mit meinen Ess-, Trink- und Rauchgewohnheiten außer mich selbst. Da sei der gute Vater Staat davor. Der nimmt mir die schreckliche Verantwortung für mich selbst gerne ab.

Verkehrte Welt

Aber ausgerechnet jetzt gibt es einen Bereich, in den sich dieser unser väterlicher Vormund nicht einmischen darf. Noch dazu einen Bereich, wo Gemeinsinn gefragt ist und nicht nur der einsame Entschluss, durch den man seine Mitmenschen gefährden kann: Ausgerechnet im Kampf gegen den Corona-Virus, der nicht „mein Risiko“ ist, sondern mich zum Risiko für meine Mitmenschen machen kann, der unabsehbare Folgen für das wirtschaftliche Leben des Landes hat, ausgerechnet dabei zählt nur die höchstpersönliche Entscheidung? Sogar dort, wo meine (falsche) Entscheidung meine Mitmenschen gefährdet?
Die äußerst einleuchtende 1-G-Regel wird plötzlich von denselben Meinungsmachern, die den Kreuzzug gegen die Zigarette und das Erdöl angeführt haben, als „sanfter Druck zum Impfzwang“ denunziert. Arbeitgeber dürfen nicht verlangen, dass ihre Angestellten geimpft sind, denn da reitet plötzlich die Arbeiterkammer zur Rettung der freien Entscheidung aus. Und niemand fragt: Wo wären wir ohne „den sanften Druck“ der Verkehrsregeln heute?
Es ist eine verkehrte Welt.

Entscheidungen haben Folgen

Es ist ein absoluter Blödsinn, die Regierung dafür zu kritisieren, dass die Impfquote bei nur 60 (statt der zur Entspannung der Situation nötigen 80) Prozent stagniert. Weder niederschwellige Angebote – Supermärkte, Kirchen, Boote -, noch eine urgroßväterlich-kumpelhafte Aufforderung zum Stich durch den Bundespräsidenten werden da helfen. Auch keine Werbekampagnen oder Social Media-Anstrengungen.
Wenn so viele Menschen darauf bestehen, dass sie sich nicht impfen lassen wollen, dann muss man ihnen klar machen, dass jede Entscheidung auch Folgen hat.
Im Fall des Nicht-Impfens heißt die Folge eben, dass der Verweigerer nicht alle Freiheitsrechte zurückbekommen kann. Man kann ja abwägen, was wichtiger ist: Sich selbst und seine Umwelt vor einem tödlichen Virus zu schützen und das Leben in Gesellschaft mit all seinen schönen Seiten leben zu können. Oder das Beharren darauf, es besser zu wissen als die Wissenschaft. Dann aber bitte mit allen Einschränkungen, die zum Schutz anderer nötig sind. (Menschen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können, werden darunter leider auch leiden müssen: Aber sie wissen, dass sie in Pandemie-Zeiten keine andere Wahl haben, als sich von den Anderen abzusondern – so tragisch das für sie selbst auch ist.)

Eigenverantwortung vergessen

Die Impf-Frage an sich hat nichts mit Politik zu tun. Was sich an ihr aber zeigt, ist, dass wir uns allzu sehr an den alles regelnden Gouvernanten-Staat gewöhnt haben. Wir haben vergessen, was Eigenverantwortung ist, und glauben wie kleine Kinder, dass unser Handeln oder Nichthandeln folgenlos bleiben muss.
Wir müssen wohl wieder erwachsen werden.

Unbeeindruckt von dystopischen Meinungstrends und spitzzüngig gegen Nonsense-Gerede artikuliert sich auch Ruth Pauli (70). „Erst denken, dann twittern“, warnte die Autorin und langjährige ehemalige Innenpolitik-Redakteurin einmal. Schon früh blickte die gebürtige Wienerin über den österreichischen Tellerrand, ihre Studien- und Forschungsjahre führten sie in die USA, die Sowjetunion und nach Frankreich. Nach der Promotion über russische Literatur arbeitete sie unter anderem bei der „Wochenpresse“, der „Presse“ und dem „Kurier“. Sie brachte mehrere Bücher heraus, ob als Übersetzerin, Autorin oder als Herausgeberin.