Mit der Pandemie ist das Gesundheitsministerium zum Dreh- und Angelpunkt unser aller Schicksal geworden.  Ausgerechnet jenes Ministerium, das seit seiner Einführung in den Siebziger Jahren als das unwesentlichste angesehen, auch personell lieblos bestückt und schließlich unter Türkis-Blau als Wurmfortsatz dem Sozialministerium eingemeindet wurde. Aber plötzlich war der Gesundheitsminister der wichtigste Mann im Land und das riesige Sozialministerium der Wurmfortsatz.

Bei einer Durchimpfungsquote von immerhin 60 Prozent und der schon vierten Welle müsste der nicht mehr ganz neue Minister langsam anfangen können, reformerisch zu arbeiten. Aber Werner Mückstein ist vor allem mit seinem Image als alternativer Gesellschaftspolitiker beschäftigt. Vegane Turnschuhe statt Ledertreter, E-Scooter statt Dienst-Diesel (ginge es ihm um Vorbildwirkung, hätte er, der Arzt, wenigstens einen Helm dabei getragen, was Mediziner wegen der vielen Kopfverletzungen längst besorgt fordern). Auch die Reichen zu besteuern, hat er sich schon zum Ziel gesetzt – diesmal sollen sie für Corona zahlen.

1-G ist vollkommen berechtigt

Das alles scheint ihn mehr zu beschäftigen als sein Ressort. Er braucht Wochen, bevor er sich vom Bundeskanzler endlich ein zaghaftes Bekenntnis zur 1-G-Regel abringen lässt. Das verwundert: Schon im November hat die Bioethik-Kommission ein Gutachten vorgelegt, das den Umgang mit der Freiheit Geimpfter behandelt. Ethisch und juridisch abgesichert steht dort unmissverständlich, dass die Grundrechte, die in der Pandemie arg beschnitten waren, einschränkungslos wiederherzustellen sind, sobald jemand den vollen Impfschutz hat. Also ist 1-G vollkommen berechtigt. Hätte ihm viel Zögern und Zaudern erspart, hätte er sich im eigenen Haus informiert.

Die katastrophalen Folgen der jahrzehntelang aufgeschobenen Gesundheitsreform sind in der Pandemie nicht nur sichtbar, sondern auch spürbar geworden

Derartige Schätze könnte Mückstein sicher noch mehr finden – nur leider, leider sucht er nicht. Vielleicht aus Vorsicht. Denn wenn er zu viel sucht, könnte er womöglich auf die Monsterprobleme stoßen, die da schlummern – oder eher lauthals schnarchen. Man muss schon ein Meister im Ignorieren sein, um sie zu überhören.

Die katastrophalen Folgen der jahrzehntelang aufgeschobenen Gesundheitsreform sind in der Pandemie nicht nur sichtbar, sondern auch spürbar geworden.

Finanzierungs- und Kompetenzwirrwarr: Daran krankt unser System. Dass Landeskaiser die Impfung nutzen können, um die eigene Klientel zu bedienen, dass die Verantwortung für unerlässliche, aber unpopuläre Maßnahmen zwischen Bund und Ländern bis zum Überdruss hin und hergeschoben wird, bis alles zu spät passiert, dass Krankenhäuser in jedem Bundesland nach wahltaktischen Überlegungen in die Landschaft gesetzt werden statt nach einem gesundheits- und finanzpolitisch fundierten nationalen Plan, dass die datenschützerische Geheimniskrämerei unsere Gesundheit gefährden darf – das ist nur ein Teil der langen Liste von Problemen, die gelöst gehören. Und zwar jetzt. Nicht irgendwann.

Neue Ansätze und Mut zum Besten aus verschiedenen Welten: Das war doch vom versprochenen türkis-grünem Schwung zu erwarten? Also her damit.

Und weil das ein dringliches Riesen-Unterfangen ist, müsste Mückstein noch Mut beweisen und die Trennung seines Gesundheits- vom Sozialministerium verlangen. Jetzt und sofort: Denn dort warten Pensionsreform, Pflegereform und noch andere gigantische Herausforderungen.

Zu viel für einen Mann. Auch wenn er die Turnschuhe des Marathonläufers trägt.

Unbeeindruckt von dystopischen Meinungstrends und spitzzüngig gegen Nonsense-Gerede artikuliert sich auch Ruth Pauli (70). „Erst denken, dann twittern“, warnte die Autorin und langjährige ehemalige Innenpolitik-Redakteurin einmal. Schon früh blickte die gebürtige Wienerin über den österreichischen Tellerrand, ihre Studien- und Forschungsjahre führten sie in die USA, die Sowjetunion und nach Frankreich. Nach der Promotion über russische Literatur arbeitete sie unter anderem bei der „Wochenpresse“, der „Presse“ und dem „Kurier“. Sie brachte mehrere Bücher heraus, ob als Übersetzerin, Autorin oder als Herausgeberin.