So nahe an einem Krieg, der Europa trifft, waren wir seit Jahrzehnten nicht mehr. Als Mitglied der EU sollten wir erwarten können, dass sich die Union der 27 gewichtig in den Prozess der Friedenserhaltung einbringt. Aber wir Europäer sind in dieser zutiefst europäischen Frage nicht einmal am Rande ein Gesprächs-, geschweige denn ein Verhandlungspartner.

Natürlich hat ein loser Staatenbund ohne gemeinsame Sicherheitspolitik und ohne gemeinsame Verteidigung bei den Großmächten kein Gewicht. Aber die Union hat sich auch noch selbst in eine ausweglose Ohnmachts-Position hineinmanövriert, die sie gerade jetzt in Russland-Fragen vollständig lähmt. Mit ihrer überstürzten Energiepolitik zur angeblichen „Klima-Rettung“ hat die Kommission unter Ursula von der Leyen Europa in Richtung Blackout und Industrievernichtung geschickt. Da Wind und Sonne aber nicht ausreichen, um den Strombedarf einer modernen Industriegesellschaft zu decken, die sich noch dazu im energieintensiven Digital-Zeitalter befindet, hat die Brüsseler Fridays-for-Future-Autokratie Atom und Gas zu “grünen” Energiequellen erklärt.

Es war absehbar, dass Putin die "Öl-Abhängigkeit" irgendwann als Waffe einsetzt

Aber dieses Gas, auf das ganz Europa angewiesen ist, kommt zu einem beträchtlichen Teil aus Russland (allen voran Österreich: 50 Prozent). Auch das  “böse” Öl, das wir nur noch einige Jährchen verbrennen dürfen, kommt zu einem beachtlichen Teil aus Zar Putins Reich (25 Prozent der EU-Importe plus weitere 10 Prozent von seinen Satelliten Kasachstan und Aserbaidschan, die nur das machen, was ihnen Putin erlaubt; Österreich: 10 Prozent aus Russland, 25 Prozent aus Kasachstan). Da hätte eine Kommission, die ihren Namen und ihr Geld wert wäre, längst nach Alternativen suchen müssen, denn dass Putin diese Abhängigkeit irgendwann als Waffe einsetzt, war vorhersagbar. Aber interessanterweise sind es die Amerikaner, die alternative Möglichkeiten für uns ausloten – nicht nur durch ihr eigenes Flüssiggas (das wird ihnen zwar unterstellt, reicht aber bei weitem nicht aus), sondern auch aus Nah-Ost-Quellen.

Gas- und Öl-Frage lähmt eine ganze Union

Jetzt lähmt die Gas- und Öl-Frage eine ganze Union: Ein paar Sanktiönchen mehr werden Putin nicht davon abhalten, die Ukraine zu schlucken oder zumindest von innen heraus auf seine Linie zu bringen. Was immer er tun will, er kann es tun, denn Europa kann nur ohnmächtig aufstampfen.

Es erinnert irgendwie an das Debakel mit der an Brüssel delegierten Beschaffung der Impfstoffe für Europa: Wenn die Kommission einmal etwas konkret machen soll, was über die Erfindung neuer bürokratischer Schikanen hinausgeht, dann klappt’s nicht. Und das hat nichts mit selbst gewählter oder selbst verschuldeter Machtlosigkeit zu tun. Es ist schlicht und einfach Versagen.

EU ohne Alternativen

Die Europäische Union ist alternativlos. Sie ist nicht nur eine wunderbare Idee, sie bringt auch unzählige Vorteile und Chancen nicht nur für jeden Mitgliedsstaat, sondern für jeden einzelnen EU-Bürger (man muss sie nur nützen, was ebenfalls für beide gilt). Mit überbordender Bürokratie, mangelnder personeller Qualität und über die Verträge hinausgehenden Einflussnahmen auf die Mitgliedsstaaten (bestes abschreckendes Beispiel ist die Frage der illegalen Migration), mit einer oberlehrerhaften Bevormundung ihrer kleineren, vor allem aber ihrer osteuropäischen Mitglieder hat sie sich weit von dieser verbindenden Idee entfernt.

Die EU ist für einen Kontinent mit blutiger Geschichte ein großartiges Friedensprojekt gewesen. Aber sie hat vergessen, dass sie keine Insel ist: Längst hätte sie den Dialog mit Russland führen müssen, aber seit vielen Jahren hat sie ihn verweigert. Jetzt glaubt sie, damit ganz schnell einen drohenden Krieg verhindern zu können – nur jetzt will Russland nicht mehr mit ihr sprechen.

Was bleibt, ist die Hoffnung

Wenn die USA den unverschämten russischen Forderungen, was angrenzende europäische Staaten tun dürfen und was nicht, nachgibt, hat Russland auch ohne Krieg gewonnen. Wir können nur hoffen, dass erfahrene US-Politiker (nur nicht der bereits altersgezeichnete und daher unberechenbare Präsident Biden) einen friedlichen Weg finden, der Russland nicht weiter stärkt – weil das nicht nur die Ukraine, sondern ganz Europa schwächen würde. Trotzdem ist es angesichts des wachsenden Truppenaufmarschs auch auf NATO-Seite und der Kriegsvorbereitungen wie dem Ausfliegen amerikanischer Staatsbürger aus der Ukraine durchaus möglich, dass das tatenlose Europa in einen Krieg hineingezogen wird.

Wir können nur hoffen. Aber wenn wir noch einmal davonkommen, wäre es hoch an der Zeit, diese – unsere! – EU zu reformieren. Sie wäre es wert. Hoffentlich haben wir die Zeit dafür.