Wir haben die schleichende Entwicklung übersehen, wie in einer friedlichen Gesellschaft eine gewalterzeugende Gegensätzlichkeit entstanden ist. Auf der einen Seite die Impfgegner, die sich gegen Zwang wehren, auf der anderen Seite die Impfbefürworter, die einen Sündenbock dafür gefunden haben, dass sich die Pandemie anders entwickelt, als wir alle wollen.

Ob die Impfpflicht tatsächlich kommen kann, wird angesichts der Omikron-Zahlen, die wir in Frankreich, England oder Italien sehen, immer unwahrscheinlicher. Denn sie zeigen, dass weder die Schutzwirkung noch die Schutzdauer der Impfung bekannt sind, die unser aller Hoffnungen, aber auch die Ängste mancher angetrieben hat. Da werden wohl Impfgegner, die vor dem Verfassungsgerichtshof ihre körperliche Unversehrtheit einklagen, gute Aussichten haben, Recht zu bekommen.

Also wird die grenzdebile Idee von der Impf-Prämie aufgewärmt – nach dem Kanzlerwechsel ist sie ja bedauerlicherweise nun auch in der ÖVP angekommen. Der Effekt wird nämlich ein teurer sein, denn die Rechnung lernt sich schnell: Wenn ich nach 12 Monaten einen (zwei, drei…) Hunderter für den Stich kriege, dann warte ich das nächste Mal einfach so lange, bis ein 1000er gezahlt wird.

Denken der Erfinder des Impfhunderters ist entlarvend

Abgesehen davon ist das Erkaufen-Wollen der Bereitschaft, sich selbst, sein Umfeld und das Gesundheitssystem zu schützen, nur ein weiterer Beweis dafür, wie sehr der Wille fehlt, auf die Impfgegner einzugehen, wie schnell man aber mit Verachtung da ist: Für ein paar Euro werden sie schon ihre Überzeugung verraten, diese Störfaktoren. Dieses Denken der Erfinder des Impfhunderters ist entlarvend.

Entlarvend ist aber auch die Argumentation des AK-lers Klein, der in den Reihen der Impfgegner so viele Arbeitnehmer ausgemacht haben will, die sich in ihrer Bezahlung nicht „wertgeschätzt“ fühlen und die sich deshalb nicht impfen lassen. Ihnen würde die Impfprämie diese Wertschätzung bringen. Solche Argumente sind einfach dreist. Was hat die Tatsache, dass sehr viele Menschen gern mehr verdienen würden, mit der Pandemie und der Impfung zu tun? Wenn man dem Staat rät, Steuergeld an unterbezahlte Berufsgruppen zu verteilen, dann wäre eine substantiell höhere Prämie für das Pflegepersonal auf Covid- und vor allem auf Intensiv-Stationen fällig. Frankreich macht das vor.

An Spaltung ist nie nur eine Seite schuld

Und dann noch die Schwurbler von den bedrohlichen Gräben in der Gesellschaft – für die sie nur eine einzige Heilung sehen: Lasst Euch impfen! Die Spaltung gibt es nicht deshalb, weil manche den Stich verweigern. Es gibt sie, weil sie als Schuldige, als Sündenböcke behandelt werden. Weil man ihnen nicht zuhört, weil es einen kritischen Standpunkt zur Impfung nicht geben darf. Statt im Gebührenfernsehen immer wieder die wahnwitzig um Aufmerksamkeit heischenden Unsinnigkeiten des Herrn Kickl aufzuwärmen, wäre es einmal heilsam, zwei wirkliche Wissenschafter miteinander diskutieren zu lassen. Argumente, nicht Vorurteile tragen zu einem Gespräch und zu einem besseren gesellschaftlichen Klima bei. An Spaltungen ist nie nur eine Seite schuld.

Hören wir auf, eine Gruppe von Menschen zu verachten, nur weil sich ein paar rechtsextreme Elemente unter sie mischen und ein irrlichtender Politiker vor ihnen intelligenzbefreite Sprüche klopft. Die geballte polit-mediale Verachtung, die ihnen entgegengebracht wird, hat mittlerweile auch die allgemeine Stimmung so aufgeheizt, dass es zu Handgreiflichkeiten in Geschäften kommt, weitab von Demos und Extremisten-Angriffen auf die Polizei. In früheren Jahrhunderten haben Pandemien auch immer zur Bestrafung von Sündenböcken geführt. Wir haben im 21. Jahrhundert offensichtlich immer noch dieselben Reflexe – es wird Zeit, damit Schluss zu machen. Wir müssen nicht andersdenkende Mitbürger bekämpfen, sondern die Pandemie.