Wer dachte, Wolfgang Brandstetter hat Mut, dass er nach seinem Rückzug aus dem Höchstgericht zum ZiB-Verhör antrat, der irrte. Er musste in eigener Sache richtigstellen, wozu sich der ORF nicht verpflichtet sah: Die Redakteurin der ORF-Investigativ-Abteilung, die die bewussten Chats bearbeitet hatte, ordnete vor dem großen ZiB1-Publikum die sexistisch-rassistischen Worte Brandstetter zu. Sie entschuldigte sich im Nachhinein ganz privat bei Brandstetter, der ORF aber stellte öffentlich nichts richtig.

Das ist medienrechtlich mehr als bedenklich – das hätte sogar Alexander Wrabetz auffallen müssen, der seine ohnehin schon viel zu lange Amtszeit verlängern will. In 15 Jahren (so lange regiert er den ORF) versteinern Strukturen und Fehlentwicklungen werden Normalbetrieb. Es hat sich eingebürgert, dass Wahnsinns-Summen aus Zwangsgebühren für ein Programm ausgegeben werden, das die Privaten auch und oft viel besser haben (das zeigen die Quoten). Es hat sich eingeschliffen, dass die Verpflichtung zur Objektivität durch das Recht auf Meinung der einzelnen Redakteure ersetzt wurde, die vielfach – siehe oben – nicht einmal dem Faktencheck aus dem eigenen Haus standhalten würde. In den Bundesländern wiederum herrschen die Landeskaiser, was eine Berichtsqualität verursacht, die eher nach Nord-Korea passen würde.

Manchen bringt dieser eingerissene Missbrauch von Medienmacht natürlich Vorteile und sie werden Himmel und Hölle in Gang setzen, damit sich nichts ändert.

Der Kultursender Ö1 richtete darum in einer halbstündigen Sendung dem Stiftungsrat bereits aus, wer Generaldirektor des Unternehmens werden darf und wer nicht: Jemand, der eine ZiB-Spezial mit einem Kanzler-Interview verantworte, sicher nicht! Und überhaupt: „Wir wollen keinen Thomas Schmid des ORF“ tönte es mehrfach als leicht verständliche Botschaft.

Bei den immensen Kosten und dem zweifelhaften Output (gemessen in Reichweite der Sender, wir wollen ja objektiv bleiben) wäre ein Kurswechsel mehr als nötig. Vorschläge dazu hat es in den vergangenen Jahren genug gegeben. Sie reichen vom Privatisieren zumindest eines der TV-Kanäle bis zur Beschränkung der Programme auf Information, Kultur und Österreich-Spezifisches. Seilschaften müssten aufgedröselt, Qualitäts-Standards gesetzt und überprüft werden. Das und noch viel mehr war bereits in Diskussion – freilich ohne die geringste Konsequenz.

Ein Ausländer muss her, am besten einer, der niemanden in diesem Land kennt

Bezieht man das Minenfeld in die Überlegungen ein, über das ein Kandidat erst einmal auf den Küniglberg gelangen muss (hat er je eine WhatsApp mit dem Bundeskanzler ausgetauscht? Hat er je in einer Handy-Nachricht geblödelt oder vielleicht nach einem Glas zuviel ein politisch inkorrektes Wort gebraucht?), dann gibt es nur eine Lösung: ein Ausländer muss her, am besten einer, der niemanden in diesem Land kennt.

Die Auslands-Lösung in leicht abgewandelter Form empfiehlt sich auch für die Brandstetter-Nachfolge am Verfassungsgerichtshof.

Es wäre mehr als klug, dafür einen österreichischen Richter vom Europäischen Gerichtshof zurückzuholen. Der wüsste nämlich, dass dort am 2. März ein Urteil gefällt wurde, das den „Behörden zur Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten“ – darunter fallen auch unser Verfassungsgerichtshof und die WKStA – Grenzen setzt. Die Beschlagnahme von Chats, Mails, Anrufdaten, SMS etc. darf demnach nur im Falle einiger weniger verfolgter Delikte erfolgen. Und zwar dann, wenn es um „schwere Kriminalität“ oder die „ernste Bedrohung der öffentlichen Sicherheit“ geht. Juristen nennen als Beispiel für derartige Delikte Terrorismus.

Ist Sebastian Kurz ein Terrorist? Ist Gernot Blümel ein verkappter Massenmörder? Sind die Herren Schmid, Brandstetter oder Pilnacek, so unappetitlich manche ihrer Worte auch sein mögen, Schwerverbrecher?

Hierzulande begründet die WKStA Hausdurchsuchungen und Anzeigen mit Chat-Nachrichten.

Und die Corona unserer Juristerei – Höchstgerichtspräsidenten, pensionierte Verfassungsrechtler, Standesvertreter und die Justizministerin – sind wortreich „sprachlos“, „bestürzt“ und „entsetzt“ über die geleakten privaten Chats. Man könnte auch über etwas anderes sprachlos sein. Nämlich darüber, dass dieses Erkenntnis übergangen wird.

Da die Rechtssprechung des EuGH über der österreichischen steht, gibt es dafür eigentlich nur wenige mögliche Erklärungen. Entweder die Höchstjuristen kennen das Erkenntnis nicht oder sie wollen es nicht kennen. Ein Zuwiderhandeln, wie das seit Monaten geschieht, wäre nämlich ein eindeutiger Rechtsbruch durch diese rechtsstaatlichen Stellen. Oder das Urteil gilt nicht mehr für uns, weil „die Justiz“ den Öxit vollzogen hat – und wir haben es alle nicht bemerkt.

Nachzulesen ist das Erkenntnis des EuGH unter:

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=238381&pageIndex=0&doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=4639029

Unbeeindruckt von dystopischen Meinungstrends und spitzzüngig gegen Nonsense-Gerede artikuliert sich auch Ruth Pauli (70). „Erst denken, dann twittern“, warnte die Autorin und langjährige ehemalige Innenpolitik-Redakteurin einmal. Schon früh blickte die gebürtige Wienerin über den österreichischen Tellerrand, ihre Studien- und Forschungsjahre führten sie in die USA, die Sowjetunion und nach Frankreich. Nach der Promotion über russische Literatur arbeitete sie unter anderem bei der „Wochenpresse“, der „Presse“ und dem „Kurier“. Sie brachte mehrere Bücher heraus, ob als Übersetzerin, Autorin oder als Herausgeberin.