Wenn der Regierungschef ein frisch beschlossenes Gesetz gegen die Landeshäuptlinge schützen muss, die es noch vor Inkrafttreten aussetzen wollen, wenn er sich vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorführen lassen muss, weil man sich dort weigert, den Auftrag einer Impflotterie auszuführen, wenn in der Minister-Riege mehrheitlich der große Winterschlaf gehalten wird – dann muss man sich fragen: Ist Nehammer zu schwach für das Amt?

Die ÖVP in der Krise

Ja, die ÖVP ist in Umfragen tief gestürzt. Ja, der ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss wird der Partei, aber auch dem Ansehen der Politik überhaupt, weiter schwer schaden. Ja, verbrecherisch abgesaugte und veröffentlichte Chats werden die ÖVP weiter in den Negativ-Schlagzeilen halten (was Peter Pilz mit dem Daten-Dieb auf WhatsApp chattete, werden wir hingegen nie erfahren…). Demütig den Kopf einziehen, Augen zu und durch? Das ist als Strategie zu wenig.

Wie wäre es einmal mit Selbstbewusstsein? Sind Interventionen wirklich ein schrecklicher Machtmissbrauch? Wenn ein Bürger um Unterstützung bittet, erwartet er, dass der Politiker für ihn interveniert. Soll er ablehnen, solchen Bitten nachzukommen oder ist er nicht eher dazu verpflichtet? In der Oe1-Gedenksendung für Gerhard Roth war von ihm selbst zu hören, wie sogar er die Finanzminister Edlinger und Lacina einschaltete, damit aus seiner 600.000 Schilling-Steuerschuld nur 60.000 wurden. Früher hat’s halt der „Papa richten“ können, jetzt verlangen wir das allzu oft von den Politikern – um uns danach über „Interventionen“ aufzuregen.
Ein selbstbewusster Politiker macht echte Politik. Und das hätten wir nach zwei Jahren, die uns das Virus vor sich hertreibt, bitter nötig. Denn es ist nicht mehr unser größtes Problem.

Während die illegale Migration wieder Höchststände erreicht, scheint niemand Vorkehrungen zu treffen für den erwartbaren Fall, dass bei einer russischen Invasion der Ukraine eine Welle wirklicher Flüchtlinge zu uns kommt. Gibt es einen Plan, wie Österreich das bewältigen soll?

Was ein aktiver Bundeskanzler tun sollte

Dass die meisten Corona-Toten in der Gruppe der alten Menschen waren, ist weiter nicht erstaunlich. Man wusste, dass sie die gefährdetsten sind. Aber warum starben überdurchschnittlich viele in Alten- und Pflegeheimen, also gerade dort, wo man für unmenschlich harte Isolierungsmaßnahmen gesorgt hatte? Was stimmt nicht an diesen Institutionen und müsste ein aktiver Bundeskanzler nicht verhindern, dass der heillos überforderte Gesundheits- und Sozialminister mit seiner Pflegeform noch mehr Heime finanziert? Dass er sich vielleicht einmal in Dänemark anschaut, wie es besser und menschlicher geht?

Hätte ein Arbeitsminister, der die Spielregeln für die Arbeitslosen in Richtung sanften Drucks zurück in die Erwerbstätigkeit ändern möchte, nicht den Rückhalt seines Regierungschefs verdient? Wo es viele offene, aber nicht besetzbare Stellen gibt, wo in Wien die Arbeitenden schon in der Minderheit sind, steht Martin Kocher trotzdem dem Druck all jener allein gegenüber, die die Sozialversicherung vom Auffangnetz zur Hängematte umfunktionieren wollen.

Die Menschen leiden unter der rasant steigenden Inflation, aber der Kanzler weist nicht seine Europaministerin und seinen Finanzminister an, eine Unions-Front gegen die inflationstreibende Politik der EZB aufzubauen? Noch schlimmer, er lässt in Zeiten wie diesen zu, dass die Menschen mit einer 8-prozentigen Erhöhung der ORF-Zwangsgebühren gequält werden.

Der Bundeskanzler hat die Wahl

Die Liste der Probleme, die dringend angegangen werden müssten, ist lang.

Es stimmt: Ein Bundeskanzler hat hierzulande keine Macht – aber er kann Themen setzen, er kann die Regierungsmitglieder zu notwendigen Aktivitäten motivieren (das nennt man dann Führungsqualität). Er könnte tatsächlich regieren.

Nehammer hat die Wahl: Er kann sich vor der Oppositions-Abrechnung mit der ÖVP, vor dem Druck der Straße und vor der Wetterwendigkeit des Koalitionspartners fürchten, der schon einen Kanzler abgehalftert hat. Oder er kann den Mut zu Reformen, Veränderungen und Verbesserungen aufbringen. Wenn er dann trotzdem vom Wähler aus dem Amt gejagt wird, könnte er sich wenigstens sagen, dass er hoch erhobenen Hauptes verliert.