Es wird spannend: Europas Regierungen stehen erstmals seit der Nachkriegszeit vor der ernsten Herausforderung, die eigene Bevölkerung im Winter ausreichend zu versorgen. Strom und Gas werden nämlich in nicht allzu großen Mengen vorhanden sein. Dabei werden sie sich nicht nur die eigenen Bürger im Auge haben müssen, sagt nun ein Migrationsexperte. Auch zahlreiche Vertriebene aus der Ukraine werden hinzukommen, zumindest sofern der Krieg weitergehen wird – wovon auszugehen ist, wenn man zahlreichen Politikern zuhört.

Das behelfsmäßige Flüchtlingszentrum in Warschau war als vorübergehende Lösung gedacht, aber angesichts des anhaltenden Krieges bestand es weiter fort.APA/AFP/Damien SIMONAR

Russische Angriffe auf Kraftwerke könnten dramatische Folgen haben

Der österreichische Migrationsexperte Gerald Knaus warnt: Noch mehr schutzsuchende Menschen aus der Ukraine könnten in diesem kalten Winter zu einem echten Problem werden. So eifrig die EU auch am Planen weiterer Sanktionen ist, auf einen Flüchtlingsanstieg aus der Ukraine ist sie nicht vorbereitet, unterstreicht Knaus.

Gerald Knaus warnt vor Flüchtlingswinter, auf den die EU nicht vorbereitet ist.Twitter

Knaus rechnet wegen des Ukraine-Krieges tatsächlich mit einem massiven Anstieg der Flüchtlingszahlen in den kommenden Monaten. „Wir stehen vor einem historischen Fluchtwinter, sollte die Lage in der Ukraine sich weiter zuspitzen und im Winter die Versorgung mit Wärme und Strom nicht funktionieren, weil der russische Angriffskrieg etwa Kraftwerke zerstört oder Massenvernichtungswaffen einsetzt“, sagt Knaus gegenüber Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Darauf wäre die EU jetzt nicht vorbereitet.“

Die Vertriebenen sind in Europa sehr ungleich verteilt

Vertriebene aus der Ukraine seien sehr ungleich in Europa verteilt, kritisierte der in Berlin lebende Salzburger Soziologe: „Länder wie Tschechien und Polen tragen die Hauptlast, Staaten wie Frankreich haben einen Bruchteil der Kriegsflüchtlinge aufgenommen.“

Flüchtlinge aus der Ukraine stehen in Berlin an einem Stand der Jobmesse der Industrie- und Handelskammer.APA/AFP/John MACDOUGALL
Beim Stand werden Deutschkurse angeboten.APA/AFP/John MACDOUGALL

Herausfordernd wird diese Entwicklung wohl auch deshalb, weil die Asylzahlen ohnehin bereits in die Höhe schnellen, und die Polizei vor einem zweiten „Flüchtlingsjahr 2015“ warnt – der eXXpress berichtete. Der Wunsch der EU nach gleichmäßiger Aufteilung der Migranten in den EU-Staaten scheiterte nach 2015, zum einen weil sich mehrere Mitgliedsstaaten dagegen sperrten, zum anderen weil die Migranten ohnehin ihren Aufenthaltsort selbst bestimmen. Deutschland und Österreich  gehören zu den beliebtesten Destinationen.

Private Initiativen waren bisher erfolgreicher als Staaten

Um die Verteilung der Ukrainer zu gewährleisten fordert Knaus den Aufbau eines Netzwerks zwischen Großstädten und Gemeinden, damit die Vertriebene auch in Frankreich oder Italien aufgenommen werden müssten. Nicht so sehr Staaten, wohl aber private Initiativen hätten gezeigt, dass es klappen kann: „Private Helfer haben vorgemacht, wie es geht: mit Transparenz, Informationspolitik und Solidarität“, sagte der Vorsitzende der Denkfabrik European Stability Initiative. „Nur so ist diese historische Aufnahmeleistung von Flüchtlingen aus der Ukraine über den Winter zu stemmen.“

Polen muss bereits jetzt einen großen Teil der Flüchtlinge versorgenAPA/AFP/Alik KEPLICZ

Eine Herausforderung für alle wird aber in jedem Fall die Energieknappheit. Die heimischen Bürger sind bereits dazu angehalten, mit Energie sorgsam umzugehen. Angesichts zahlreicher zusätzlicher Vertriebener wird die Lage nicht einfacher werden.