Der Unterschied zwischen einer wehrhaften Neutralität und einem verteidigungspolitischen Trittbrettfahrer könnte augenfälliger kaum sein: hier die Schweiz mit 8,7 Millionen Einwohnern, daneben Österreich mit 9 Millionen Einwohnern und einer fast doppelt so großen Fläche von 83.879 km2 gegenüber 41.285 km2 in der Schweiz. Eigentlich müsste man hierzulande mindestens so viel für die Landesverteidigung ausgeben, wie es die Schweizer Nachbarn tun, doch es ist genau das Gegenteil der Fall. 2,7 Milliarden Euro lässt sich Österreich seine Landesverteidigung kosten, 5 Milliarden Euro sind es in der Schweiz. Doch das deutet bestenfalls an, wie massiv die Unterschiede sind.

Eklatante Unterschiede zu Land und in der Luft

Die Schweiz verfügt über 136 Leopard-Kampfpanzer, Österreich nur über rund 50 einsatzfähige Exemplare – „obwohl die geografische Situation (Marchfeld, Eferdinger Becken) eine genau umgekehrte Größenordnung nahelegen würde“, schreibt der Verteidigungsexperte und Politikberater Franz-Stefan Gady in einer knallharten Analyse in „Der Pragmaticus“. Auf noch gravierendere Unterschiede stößt man in der Luft:

„Die 15 Eurofighter des Bundesheeres haben keine Hauptbewaffnung – nur eine Sekundärbewaffnung vom Typ IRIS-T. Von dieser infrarotgelenkten Waffe gibt es nur rund 20 Stück, bei Schlechtwetter ist sie nicht einsatzfähig. Die Schweizer haben nicht nur Kampfjets der Typen F-18 Hornet und F-5 Tiger in derzeit doppelter Stückzahl. Sie verfügen auch über radargestützte Lenkwaffen dafür sowie moderne Sidewinder-Luft-Luft-Raketen. Auch wird die Schweizer Luftwaffe in den kommenden Jahren 36 Stück der F-35A, des derzeit wohl modernsten Kampfflugzeugs der Welt, anschaffen.“

Ein Schweizer F-18 HornetGetty

Komplette Erneuerung wäre nötig, keine Spezialisierung

Der Materialbestand des Bundesheers gleicht „mehr einem Freilichtmuseum“: Der Alouette-III-Hubschrauber hatte seinen ersten Probeflug 1959; „das Rückgrat der Lkw-Flotte, der Steyr 12M18, wurde 1986 in Dienst gestellt“.

Sollte Österreich nun tatsächlich den Aufbau eines einsatzfähigen Heeres in Angriff nehmen, das den Vergleich mit der Schweiz nicht zu scheuen braucht, so würde das 10 bis 20 Jahre dauern, schätzt Gady. Vor allem müssten alle Waffensystem – die konventionellen zu Land und Luft, wie auch jene im Cyber- und elektromagnetischen Bereich (Aufklärung und Kommunikation mit Radiowellen, im Infrarotbereich und mittels Radar) – rundum erneuert werden. Eine Spezialisierung schütze Österreich nicht, denn: Sobald sich ein Staat nur auf einen Bereich konzentriert, macht er sich in anderen umso angreifbarer.

Ausbildung von Schweizer Militärmusikern in BernGetty

Ein neues Milizsystem wäre ein Anfang

Wie am besten beginnen? „Zumindest ein Kern des Bundesheeres muss im kleinen Rahmen fähig sein, im gesamten militärischen Spektrum tätig zu sein“, sagt der Militär-Experte. „Das heißt, wir brauchen eine kleine, aber feine Panzertruppe mit Langstrecken-Präzisionsartillerie, die vor Angriffen aus der Luft durch eine Flugabwehr geschützt ist. Wir brauchen eine Jägertruppe, die im Verbund mit bewaffneten Drohnen operieren kann. Wir brauchen eine effektive Cyberverteidigung, die von elektronischen Kampftruppen und unseren Nachrichtendiensten unterstützt wird. Und wir brauchen eine Luftwaffe, die auch in der Lage ist, Kampfmissionen zu fliegen.“

Den Schweizern ist ihre Wehrhaftigkeit wichtigGetty

Davon sind wir weit entfernt. Zurzeit ist Österreich das einzige Land der  Welt, das bei der Miliz keine verpflichtenden Übungen vorsieht. Andere Einsätze müssten daher massiv reduziert, die Wehrpflicht um zwei Monate verpflichtende Waffenübungen verlängert werden.

Bereits 5000 Mann könnte dem Feind für kurze Zeit Paroli bieten

Abseits von teurem Gerät bräuchte es also eine Reform des Milizsystems. Franz-Stefan Gady empfiehlt „eine gut trainierte und ausgerüstete Brigade von knapp 5000 Mann“. Diese „würde zumindest für kurze Zeit dem Feind Paroli bieten können.“

Natürlich: Sinn und Zweck all dieser Anschaffungen ist es, dass sie am Ende nie zum Einsatz kommen. Das müssten auch die heimischen Politiker begreifen. Eines sollte zumindest allen klar sein: Allein mit der Neutralität, ohne schlagkräftiges Heer, wird Österreich international kaum mehr Relevanz erlangen.