Selenskyjs virtuelle Rede fand als parlamentarische Veranstaltung vor der eigentlichen Sitzung statt und sorgte im Vorfeld für heftige Debatten. Die FPÖ, die an der geplanten Rede scharfe Kritik geübt hatte, verließ zu ihrem Beginn das österreichische Parlament. Davor hatte sie Schilder aufgestellt, auf denen stand: “Platz für für Frieden, Platz für Neutralität”.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) hatte Selenskyj formell zu seiner virtuellen Rede eingeladen, nachdem ein Vorstoß von NEOS im vergangenen Jahr am Widerstand der Freiheitlichen gescheitert war.

Protestaktion der FPÖ, (v.l.) der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer und FPÖ-Chef Herbert Kickl, vor Beginn der Übertragung der Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr SelenskyjAPA/ROBERT JÄGER

Scharfe Kritik an dem Verhalten der freiheitlichen Partei übte im Anschluss an Selenskyjs Rede der ÖVP-Nationalratsabgeordnete Reinhold Lopatka: “Kickl ist mit Putin solidarisch, wir mit der Ukraine”, erklärte er. Und: Österreich sei militärisch neutral, aber nicht politisch. Lopatka ist Leiter der österreichischen Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarates.

Reinhold Lopatka kritisiert FPÖ-Chef Herbert Kickl.

Philippa Strache verließ zu Beginn der Rede des ukrainischen Präsidenten ebenfalls aus Protest den Saal.

SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner schwänzte den Termin und glänzte durch Abwesenheit. Im Vorfeld hatte es auch Kritik von Seiten der SPÖ an der Rede gegeben, und zwar ebenfalls unter Hinweis auf Österreichs Neutralität.

Die Rede selbst war vergleichsweise zurückhaltend. Der ukrainische Präsident erhob keine neuen Forderungen, sondern fand primär Worte des Dankes angesichts der humanitären Hilfe aus Österreich und verwies auf das Leiden in seinem Land. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 fand rund 90.000 Ukrainer in Österreich Zuflucht. Knapp 54.000 befanden sich laut Innenministerium Anfang März in der Grundversorgung.

Selenskyjs Rede: "Danke Österreich, Ehre der Ukraine"

Zunächst bedankte sich Selenskyj für die Unterstützung, auch durch Bundeskanzler Karl Nehammer. “Wir verstehen es dankbar zu sein, wenn uns Unterstützung widerfährt”. Dann verwies der ukrainische Präsident vor allem auf das menschliche Leiden in seinem Land. Russland führe einen Krieg gegen all das, “was Menschen zu Menschen macht. Jeden Tag verlieren wir unsere Menschen.” Es gehe nicht um Geopolitik. Ein Mensch müsse immer ein Mensch bleiben, das sei wichtig. Und: “Wir verlieren Menschenleben durch russische Terroristen“, auch weil die Ukraine in einigen Gebieten keine rechtzeitige Krankenversorgung leisten könne.

“Wir wollten niemals etwas haben, das uns nicht gehört. Uns haben andere Gebiete nicht interessiert”, unterstrich Selenskyj. “Ich bin Österreich sehr dankbar, dass es noch mehr Unterstützung angeboten hat. Es gab mehrere Besuche der österreichischen Regierung und Delegationen des Nationalrats.” Dann sprach der Präsident eine Einladung aus: “Ich lade andere Vertreter des österreichischen Parlaments ein, ebenfalls mit eigenen Augen zu sehen, was es bedeutet von Russland militärisch angegriffen zu werden.”

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj während der Übertragung seiner VideoanspracheAPA/ROBERT JÄGER

Danach bedankte sich Selenskyj nochmals ausdrücklich für die bisherige humanitäre Unterstützung, vor allem durch “Nachbar in Not” und im Energiesektor. “Danke für die Unterstützung bei der Räumung von Minen und die ärztliche Behandlung in Österreich”, sagte Selenskyj. Die Menschlichkeit, die Zivilisiertheit gehörten bewahrt. “Und ich warte auf den Moment, wo ich mich bei Österreich bedanken kann für die Wiedergewinnung des Friedens in diesem Land.” Selenskyj zeigte sich überzeugt, dass die Ukraine siegen wird. Er sei überzeugt, dass das Böse besiegt wird. “Danke Österreich, Ehre der Ukraine”. Es folgte langer Applaus.

Der ukrainische Botschafter Wassyl Chymynez und Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Sitzungssaal Parlament: Beide sind anlässlich der Videoansprache Selenskyjs gekommen.APA/ROBERT JÄGER

Selenskyj spricht zum zweiten Mal zu Österreich

Es war die zweite Rede Selenskyjs an Österreich. Bereits im Juni des vergangenen Jahres hatte er im Rahmen des 4Gamechangers-Festivals in der Wiener Marx Halle in einer Live-Schaltung zu österreichischem Publikum gesprochen. Dabei dankte er jenen, “die verstehen, wer an diesem Krieg schuld ist”. Er verteidigte Sanktionen gegen Russland und warnte vor einem “Migrationstsunami” aus Afrika.

Selenskyj ist nach Kriegsbeginn in den Parlamenten von fast allen 27 EU-Ländern zu Wort gekommen. Nicht der Fall war dies bisher in Bulgarien, das in einer Dauerkrise steckt und am Sonntag zum fünften Mal innerhalb von zwei Jahren Parlamentswahlen abhält. In Sofia verhinderten pro-russische Parteien einen entsprechenden Vorstoß mit dem Argument, dass das bulgarische Parlament erst einmal eine Regierung wählen sollte. Auch im als Russland-freundlich geltenden Ungarn ist Selenskyj nicht ins Parlament eingeladen worden.

Im Juni 2022 sprach der ukrainische Parlamentspräsident im Parlament

In Österreich war die NEOS-Initiative vom März des Vorjahres, Selenskyj zu einer Videoansprache einzuladen, am Widerstand der FPÖ gescheitert. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) war zwar bereit, Selenskyj in den Nationalrat einzuladen. Bedingung sei allerdings ein Einvernehmen unter den Fraktionen. Die SPÖ hatte sich nach ursprünglichem Zögern später nicht dagegen ausgesprochen. Statt Selenskyj trat schließlich der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk Mitte Juni persönlich im Parlament auf. Stefantschuk plädierte in Wien vor Beginn einer Nationalratssitzung für eine EU-Annäherung seines Landes. Wenig später erhielt die Ukraine beim EU-Gipfel tatsächlich den EU-Beitrittskandidatenstatus.