Angesichts jüngster Erkenntnisse über die Omikron-Variante bezweifeln immer mehr Virologen die Sinnhaftigkeit einer Impfpflicht. Einzelne halten sich zurück, wollen sie aber auch nicht offen befürworten.

Konsens besteht über die Wirksamkeit der Impfung: Doppelt und dreifach geimpfte Bürger sind deutlich besser vor einem schweren Corona-Verlauf geschützt als Ungeimpfte, auch bei Omikron. Das belegten alle Studien, unterstreichen die Top-Wissenschaftler. Die voranschreitende Immunisierung der Bürger und der mildere Verlauf von Omikron stimmen sie darüber hinaus zuversichtlich. Sie hoffen auf ein baldiges Ende der Pandemie. Gerade deshalb sehen einige die Impfpflicht kritisch.

Nach Omikron-Welle ist Impfpflicht nicht mehr sinnvoll

Für den Virologen Klaus Stöhr könnte sich ein Impfpflicht bereits in wenigen Wochen erübrigt haben, wie er gegenüber der “Bild”-Zeitung unterstreicht. “Was hilft uns eine Impfpflicht etwa ab März oder April, wenn alle Omikron-Messen schon gesungen sind?” Das Schlimmste sei dann schon vorbei. “Wir nähern uns dem Ende der Pandemie.” Auch Virologe Jonas Schmidt-Chanasit rechnet damit, dass sich nach der Omikronwelle “die Frage nach der Sinnhaftigkeit” der Impfpflicht stelle. Man solle zuerst “schauen, wie viele Menschen geimpft und genesen” sind.

Ähnlich äußert sich Alexander Kekulé: Die Debatte rund um die Impfpflicht habe “sich durch Omikron erledigt”. Für diese Welle bringe das “schon zeitlich nichts mehr”. Und: “Im Grunde haben wir es fast mit einem anderen Virus zu tun.” Am Wochenende hatte Kekulé in einem MDR-Podcast-Interview darüber hinaus den Sinn des Omikron-Impfstoffs bezweifelt. Wenn sich alle mit Omikron infiziert haben, bräuchten sie sich ja nicht mehr impfen zu lassen. “Wir sind ja fast wehrlos dagegen”, sagte Kekulé. Somit sei klar: “Einen Impfstoff gegen Omikron brauchen wir danach nicht mehr.” Wer Omikron hatte, brauche sich dagegen nicht impfen zu lassen.

Drosten: "Man kann auch motivieren"

Beim letzten Punkt widerspricht Charité-Virologe Christian Drosten. Er sprach sich am Freitag klar für die Impfung mit einem an Omikron angepassten Impfstoff aus. Gegenüber dem “Tagesspiegel” unterstrich er: “Es wird nicht möglich sein, einen Übertragungsschutz der Gefährdeten über die Bevölkerungsimmunität zu erreichen, also was man gemeinhin als ‘Herdenimmunität’ bezeichnet: Ein Zustand, in dem das Virus sich nicht weiter verbreitet, so dass auch jene Teile der Bevölkerung geschützt sind, die nicht geimpft sind, wird bei diesem Virus nicht zu erreichen sein. Dafür gibt es wissenschaftliche Evidenz.” Die Kombination aus Impfung und Immunisierung durch das Virus sei entscheidend.

Doch bei der Impfpflicht, bleibt auch Drosten zurückhalten. Hier sieht er eine politische, nicht eine wissenschaftliche Frage. “Das muss die Politik entscheiden …. Man kann auch motivieren und stimulieren.”

Nowotny: "Der Zeitpunkt ist falsch"

Der Wiener Virologe Norbert Nowotny rechnet damit, dass das Coronavirus mit Herbst endemisch wird. Er ist für die Impfpflicht, hält aber den Zeitpunkt für falsch gewählt, wie er gegenüber dem ORF unterstreicht. “Man kann sie insofern begründen, indem wir nicht wissen, was im Herbst sein wird.” Nur sollte die Impfpflicht später eingeführt werden, “nämlich dann, wenn der Proteinimpfstoff von Novavax und der Totimpfstoff von Valneva zur Verfügung stehen.” Damit hätte man noch “sichere fünf Prozent der Bevölkerung impfen können, ohne sie zu bestrafen.”