Vor dem Winter steigt bei sämtlichen europäischen Regierungen die Nervosität. Der Grund: die rasant steigenden Strom- und Gaspreise. Nun droht Europa ein knapper Winter. Viele fürchten nun den Zorn der Bürger und soziale Spannungen. Ein Horrorszenario wäre ein Aufflammen von Ausschreitungen ähnlich den französischen Gelbwestenprotesten vor mehr als zwei Jahren. Die französische Energiewende und höhere Spritpreise waren damals der Auslöser. Schließlich gab Präsident Emmanuel Macron nach und nahm die Preiserhöhung beim Benzin wieder zurück. In diesem Jahr gingen die Bürger bereits in Spanien wegen der drastisch gestiegenen Strompreise im Sommer auf die Straße.

Spanien, Frankreich, Italien und Griechenland wollen ärmere Haushalte entlasten

Spanien, Frankreich, Tschechien, Griechenland und Rumänien fordern nun eine stärkere Rolle der EU, die allerdings nur langfristig etwas ausrichten kann. Kurzfristig sind die EU-Länder auf sich gestellt. Im Gegensatz zu Deutschland und Österreich haben Spanien, Frankreich, Italien und Griechenland auf die gestiegenen Preise bereits reagiert. Sie wollen etwa einkommensschwache Haushalte bei der Bezahlung ihrer Strom- und Gasrechnungen unterstützen. Solche Einkommensbeihilfen für Notfälle würden von der Europäischen Kommission akzeptiert, vorausgesetzt, sie seien zeitlich begrenzt und „gezielt“ auf die Armen ausgerichtet, heißt es in einem Papier der Europäischen Kommission.

In Österreich betrafen die Preissteigerungen bei Strom und Gas bisher primär den Großhandel:

Österreich: 40 Prozent des Strompreises von Haushalten ist vom Energiepreis bestimmt

Tatsächlich war der Anstieg gerade im Gas-Sektor enorm: So stieg der Österreichische Gaspreisindex (ÖGPI) im Oktober im Vergleich zum September um 30,9 Prozent. Gegenüber dem Oktober 2020 war es sogar ein Anstieg von 425,1 % Prozent! Der Österreichische Strompreisindex (ÖSPI) wiederum liegt im Vergleich zum Vorjahr um immerhin 72,7 Prozent höher. Die meisten heimischen Haushalte habe davon bisher noch nichts gespürt, weil sie über Preisgarantien abgesichert sind oder weil ihre Tarife nicht unmittelbar an die Entwicklung im Großhandel gekoppelt sind. Nur bei sogenannten Float-Tarife schlug die Entwicklung im Großhandel auf den Strompreis durch. Doch bleibt es dabei?

“Wir sehen die Preissteigerungen im Großhandel schon länger, und deshalb werden sie sich in den nächsten Monaten auch auf der Strom- und Gasrechnung der Haushalte wiederfinden”, unterstreicht die Österreichische Energieagentur. Rund 40 Prozent des Strompreises von Haushalten seien durch diesen Energiepreis bestimmt, “der Rest sind Netznutzungsentgelte, Steuern und Abgaben, beim Gaspreis sind es rund 50 Prozent, die vom Energiepreis bestimmt sind.” Im Einzelfall hängen aber der Grad der Betroffenheit vom jeweiligen Liefervertrag ab.

Gaspreis wirkt sich wegen Ausstieg aus Kernenergie und Kohle stärker aus

Mit Verzögerung hinterlassen die extremen Preissteigerungen im Erdgasgroßhandel nun auch auf den Strombörsen deutliche Spuren. Dabei wirkte sich auch der Ausstieg aus Kernenergie und Kohle nieder. Der Ausbau erneuerbarer Erzeugung konnte das bisher nicht wettmachen. Deshalb wurde auch in Österreich Gaskraftwerke im ersten Halbjahr stärker eingesetzt: gegenüber 2020 um 14 Prozent mehr. In den vergangenen Monaten wurde die Gasverstromung gegenüber den Vorjahren aber wieder relativ stark zurückgefahren. „Hier hilft uns unser hoher Erneuerbaren-Anteil”, sagt Herbert Lechner, Geschäftsführer der Österreichischen Energieagentur.

Zu den Hauptgründen für den enormen Gaspreisanstieg gehört unter anderem die gestiegene Nachfrage bei gleichzeitig vermindertem Angebot. “Die Wirtschaftsaktivität läuft global wieder an und damit auch der Gasbedarf”, unterstreicht die Österreichische Energieagentur. Darüber hinaus werde Gas in Europa vermehrt auch in der Stromerzeugung eingesetzt. “Das verminderte Angebot entspringt dem Ausfall einzelner Produktions- und Transportkapazitäten in Norwegen und Lieferengpässen aus Russland.”

Die Rolle des Kreml und Europas stärkere Abhängigkeit von Erdgas und Kohle schlagen sich nieder

Für die geringe Zufuhr aus Russland gibt es unterschiedliche Erklärungen. Eine davon ist, dass der Kreml absichtlich Exporte nach Europa einschränkt, um den politischen Druck zur Genehmigung der fertigen Pipeline Nord Stream 2 zu erhöhen – der eXXpress berichtete. Wasser auf die Mühlen dieser Ansicht, sind auch die Wortmeldungen aus Moskau. So erklärte etwa jüngst ein Kreml-Sprecher, dass “eine rasche Genehmigung von Nord Stream 2 die Gaspreise in Europa stabilisieren würde”. Die Österreichische Energieagentur stellt fest: “An fehlenden Transportkapazitäten scheitert es jedenfalls nicht: Über die Ukraine, Weißrussland und Polen wären noch genügen Kapazitäten vorhanden.”

Ein weiterer Faktor ist die höhere Abhängigkeit Europas von Erdgas und Kohle, da die erneuerbaren Anlagen zur Stromerzeugung nicht ausreichen.