Rasha Corti, Mitglied des Integrationsbeirats, hält die Sanktionspolitik gegen Syrien für einen der Hauptgründe der anhaltenden Flüchtlingswelle. Diese wurden von elf Ländern im Jahr 2011 gegen das Assad-Regime verhängt, um dieses zum vorantreiben nötiger Reformen zu bewegen. In einem Gastkommentar in der “Presse” beschreibt sie die Auswirkungen auf ihr Heimatland als verheerend.

Syrien kann sich aufgrund der Sanktionen nicht mehr autonom mit Grundnahrungsmitteln und Medikamenten versorgen

“Seit zwölf Jahren dauert der Konflikt mittlerweile an. Obwohl die militärischen Operationen zurückgegangen sind, hat sich die wirtschaftliche Lage unter den Sanktionen weiter verschlechtert. Die Sanktionen haben jedoch ihren Zweck bisher nicht erfüllt. Aber nicht nur das: Einige Experten sind der Meinung, dass sie die Hauptursache für die derzeitige wirtschaftliche Verschlechterung sind und übermäßig Leid verursachen”. Außerdem hätten die Sanktionen zu Mangel in allen wirtschaftlichen Bereichen geführt. So könne Syrien aufgrund von Einfuhrbeschränkungen kaum die für viele Industriezweige wichtigen KFZ-Ersatzteile importieren, was dazu geführt hat, dass “das Abpumpen von Leitungswasser und die Unfähigkeit, beschädigte Kraftwerke an der Quelle entlang der Verteilungssysteme zu reparieren, zu einem echten Problem geworden sind”. Syrien exportiere weniger, Kleinunternehmer seien am stärksten betroffen, außerdem mangelt es an Medikamenten.

Türkei will Syrer loswerden

Aber auch die Hyperinflation in der Türkei hat eine dramatische Auswirkung auf die Fluchtbewegung: “Die Teuerungsrate hat fast 80 Prozent erreicht, was in der Bevölkerung im ganzen Land zu echter Unzufriedenheit geführt hat. Der Rassismus gegen syrische Flüchtlinge hat stark zugenommen: Zerstörung von syrischem Eigentum, Schläge, ja, sogar Tötungen, sind an der Tagesordnung. Die Wahlen in der Türkei, die kommendes Jahr anstehen, schüren das Feuer weiter”. Rechtspopulistische türkische Parteien fordern bereits seit längerem die Abschiebung von  syrischen Migranten. “Die türkische Regierung rief am 12. August 2022 zur Versöhnung zwischen der syrischen Regierung und der Opposition auf, um einen dauerhaften Friedensprozess zu erreichen. Sie kündigte auch ihren klaren Plan an, innerhalb eines Jahres eine Million syrische Flüchtlinge in die syrischen Gebiete zurückzubringen”, schreibt Corti.

Bei der Pressekonferenz im August benannte Corti den verpflichtenden Militärdienst als Motiv vieler junger Syrer, das Land zu verlassen.

Corti empfiehlt dem Westen, die Sanktionen aufzugeben und sogar, gut qualifizierte Syrer wieder in die Heimat zurückzuschicken. “Die Aufhebung der Sanktionen würde Syrien zwar nicht in eine moderne Wirtschaft verwandeln, aber sie würde zumindest den Wiederaufbau eines normalen Lebensstandards ermöglichen und der illegalen Migration nach Europa ein Ende setzen. Und: Die Bekämpfung der illegalen Migration könnte effektiver sein, wenn die europäischen Länder in der Lage wären, die Menschen mit neuen Fähigkeiten und Kapazitäten zurückzuschicken, um ihre eigenen Gemeinschaften wieder aufzubauen und zu verbessern.”

Rasha Corti ist 1982 in Raqqa, Syrien, geboren und aufgewachsen. Sie studierte Englische Literatur in Aleppo, arbeitete jahrelang im Medienbereich. 2009 zog sie nach Österreich. Kurze Zeit später begann sie, als Übersetzerin für die österreichische Kriminalpolizei und für das Asylverfahren im österreichischen Innenministerium zu arbeiten und mitzuwirken. Sie initiierte eine Reihe von Projekten im Österreichischen Integrationsfonds, die sich hauptsächlich mit der Integration von Frauen beschäftigten. Corti ist seit 2018 Mitglied des vom Bundeskanzleramt beauftragten Integrationsbeirats und wurde 2019 zu einer der “Großen Töchter Österreichs” ernannt.