Vier Monate und vier Tage ist es nun her, dass Russland auf Befehl seines Präsidenten Wladimir Putin in die Ukraine einmarschiert ist und den schrecklichsten Krieg angefangen hat, den Europa seit mehr als einem halben Jahrhundert erlebt hat. Der Angriff schockierte die Welt, und doch kam er nicht überraschend.

Die Geheimdienste der USA und Großbritanniens warnten bereits Wochen zuvor vor einer imminenten Eskalation, und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron setzte damals mehr als alle anderen Staatsoberhäupter alles daran, das Ruder noch herumzureißen.

Dass diese Bemühungen, die sich in mehreren persönlichen Gesprächen Macrons mit Putin ausdrückten, scheiterten, ist der Welt bewusst. Was genau besprochen wurde, erfuhr man bislang nur aus den Erzählungen Macrons. Doch nun hat der Pariser Élysée-Palast das Protokoll eines Telefonats zwischen Macron und Putin veröffentlicht. Das Telefonat fand vier Tage vor dem russischen Angriff statt – und zeigt, wie schon damals eine Befriedung aussichtslos erschien.

“Vielen Dank, Emmanuel. Es ist immer eine große Freude, mich mit dir auszutauschen, denn wir haben ein Vertrauensverhältnis”, meinte der Kremlchef damals, bevor Putin weiter die Bemühungen Macrons und des Bundeskanzlers Olaf Scholz, das Minsker Abkommen umzusetzen lobte. Dann verbreitete er seine Meinung über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj: “Unser lieber Kollege Selenskyj macht nichts. Er lügt.”

Das Telefonat war damals im Rahmen einer Dokumentation über Macron und den Ukrainekrieg gefilmt worden. Das vollständige Video wird am 30. Juni vom französischen Fernsehsender France 2 veröffentlicht. “Das war eines der schwierigsten Themen, zu denen ich in meinem Leben jemals gearbeitet habe”, sagte der Dokumentarfilmer Guy Lagache gegenüber dem französischen Magazin “20 minutes”.

Putin wiegelte Macrons Sorgen ab: "Die Militärübungen sind am Abend wieder vorbei"

In dem Gespräch verweist Putin auf angebliche Forderungen nach Atombomben vonseiten Selenskyjs sowie auf Revisionsforderungen bezüglich des Minsker Abkommens durch Macron. Dieser weist beide Behauptungen erzürnt zurück. Putin ignoriert die Widerrede und lobt nun die prorussischen Separatisten in der Ostukraine.

Macron wird nun ungehalten: “Ich weiß nicht, wo dein Jurist studiert hat! (…) Ich weiß nicht, welcher Jurist sich zu der Behauptung versteigt, dass Gesetzestexte in einem souveränen Land von Separatisten ausgearbeitet werden.” Doch der französische Präsident bemüht sich schnell wieder um “Contenance” – es stand zu viel auf dem Spiel. Darum bat er gleich im nächsten Atemzug um Deeskalation und appellierte an Putin: “Wenn wir dem Dialog eine Chance geben wollen, dann müssen wir das Spiel beruhigen.”

Das “Spiel”, das Macron ansprach, waren die besorgniserregenden und dank Satellitenaufnahmen auch für den Westen offensichtlichen gemeinsamen Militärübungen, die Russland und Weißrussland zum Zeitpunkt des Telefonats bereits seit Wochen an der Grenze zur Ukraine abhielten. Auf die Übungen angesprochen, wiegelte Putin Macron ab. Das sei doch kein Grund zur Besorgnis, und sie seien “wahrscheinlich” am Abend auch “schon wieder vorbei”. Kurze Zeit später marschierte der erste russische Soldat über die ukrainische Grenze.

Doch lange währt Putins Aufmerksamkeitsspanne für Macrons Anliegen dann nicht – er hatte damals offensichtlich “wichtigeres” zu tun. “Ich möchte jetzt Eishockey spielen”, hört man Putin kurz darauf sagen. Nachsatz: “Um ehrlich zu sein, spreche ich gerade schon von der Sporthalle aus mit dir.”

Nach dem – wie die Geschichte zeigte – unerfolgreichen Telefonat meinte der französische Präsident gegenüber Dokumentarfilmer Lagache: “Wir konnten ihn nicht überzeugen und er marschierte in die Ukraine ein.” Macron fügte an, dass er wirklich noch bis zuletzt gehofft hatte, über eine intellektuelle Diskussion Zugang zu Putin zu finden und eine Eskalation abwenden zu können.