Der prominente austro-irakische Journalist und Anti-Terror-Experte Dr. Amer Albayati spricht mit dem eXXpress über die derzeitigen Bedrohungen für den Westen nach dem Sieg der Taliban.

20 Jahre nach 9/11: Wie steht es jetzt um den dschihadistischen Terrorismus, nach dem Sieg der Taliban?

Der “Islamische Staat” (IS) ist als Organisation eigentlich nicht mehr existent, aber er hat Anhänger und Sympathisanten, auch in Europa und das ist gefährlich genug. Aber so stark wie früher ist der IS nicht mehr. Schläfer können noch Terrorattentate verüben, denn sie wurden in ihren Herkunftsländern zu Hass erzogen.

Warum haben die Taliban auch IS-Mitglieder freigelassen, wenn sie mit ihnen eigentlich verfeindet sind?

Mitglieder der Taliban mit Kontakten zum IS haben bei den Taliban interveniert und zur Freilassung der IS-Mitglieder gedrängt. Diese Terrororganisationen verfolgen dieselben Ziele. Deshalb wurden die Gefangenen aufgrund des Einsatzes von Mediatoren der Taliban begnadigt.

Der Iran unterstützt die Taliban – auch mit Waffen

Wie steht es jetzt um Al-Qaida?

Nach der Tötung Osama bin Ladens schien Al-Qaida beinahe tot zu sein, aber im Hintergrund haben sie  im Geheimen weitergearbeitet. Dennoch hat der IS mehr Waffen und Geld. Darüber hinaus sind viele Al-Qaida-Mitglieder zum IS gewechselt wegen dessen Brutalität. Der IS entspricht eher ihren Phantasien von Dschihad. Al-Qaida hatte früher mehr Mitglieder. Von all dem abgesehen sollte man aber die radikalen Islamisten in Europa nicht übersehen, die offiziell den Terror nicht befürworten. Von ihnen geht eine Gefahr aus.

Welche Rolle spielt jetzt der Iran?

Eine große. Der Iran ist noch einflussreicher geworden. Das wird leicht übersehen. Der Iran arbeitet mit den Taliban zusammen. Jahrelang hat sich der Iran auf einen Sieg der Taliban vorbereitet. Nun hat er auch seine Botschaft in Kabul nicht geschlossen. Der iranische Präsident Ebrahim Raisi hat den Rückzug der USA als “eine Gelegenheit bezeichnet, Leben, Sicherheit und dauerhaften Frieden in diesem Land wiederherzustellen”. Der Iran unterstützt die Taliban – auch mit Waffen. Was jetzt passiert, ist: Der Iran verbreitet sich in Afghanistan. Die Beziehungen zwischen Afghanistan und dem Iran intensivieren sich noch mehr wegen ihrer gemeinsamen Feindschaft zu den USA.

Einige Afghanen im Iran finanzieren die Schlepper

Der Iran und die Taliban haben sich in den 1990er Jahren bekämpft. Die einen sind Schiiten, die anderen Sunniten. Wie passt das zusammen?

Al-Qaida, IS und Taliban und Iran haben dieselbe Ideologie und Strategie gegen den ungläubigen Westen. Deshalb unterstützen sie auch den Terror gegen “Ungläubige” – nicht nur in Afghanistan, sondern auch bei uns in Europa. Ich habe mehrmals Pressereisen in den Iran gemacht. Viele Funktionäre der Taliban haben im Iran in Häusern gelebt, die man ihnen zur Verfügung gestellt hat. Die Taliban erhalten dort ideelle und materielle Unterstützung und Waffen. Schätzungen zufolge befinden sich mehr als zwei Millionen Afghanen im Iran. Manche sammeln dort Geld. In Afghanistan können sie das nicht tun. Mit dem Geld finanzieren einige auch die Schlepper nach Europa. Einige Afghanen kommen vom Iran nach Österreich, nicht von Afghanistan.

Der Iran ist ihrer Meinung nach insgesamt mächtiger geworden? 

Das Mullah-Regime hat seinen Einfluss überall ausgebaut, ob im Irak, in Syrien, im Libanon über die Hisbollah oder im Jemen über die Huthi-Rebellen. Und nun bedrohen sie israelische Schiffe auf internationalen Gewässern. Sie bemühen sich um eine Eskalation, aber ich glaube, sie wollen damit von ihren Bemühungen ablenken, eine Atombombe zu entwickeln – und sie sind nach Meinung vieler Experten kurz davor, sie zu bekommen. Aber auch ihr Einfluss in Afghanistan ist gefährlich. Großpersien war schon immer ihr Ziel. Das steht auch in ihren Schriften. Und nun erreichen sie ihr Ziel über Afghanistan. Der Iran erlangt noch mehr Einfluss, territorial und politisch. Das ist gefährlich für die gesamte Welt.

Idee des Dschihad wurde von Muslimbrüdern verbreitet

Hat sich die Gefahrenlage für Europa seit dem Sieg der Taliban vergrößert?

Der Iran wird zu einer noch größeren Gefahr – für alle, auch für Europa. Ein anderes Problem in den europäische Ländern ist: Bis heute werden die Muslimbruder unterstützt. Sie arbeiten seit Jahrzehnten in Europa, deshalb haben sie viel Erfahrung und viel Geld – und deshalb werden sie immer stärker. Sie arbeiten verdeckt wie eine Mafia. Man kann sie nicht sehen, aber sie können jederzeit aktive werden wie Schläfer.

Die Muslimbruder sind die Mutter alle Terrororganisisation. Osama bin Laden und Aiman az-Zawahiri waren auch Muslimbrüder. Sämtliche radikale Islamisten haben den Dschihad von den Muslimbrüdern gelernt, auch der iranische Führer Ruhollah Chomeini oder der frühere Mufti von Jerusalem Mohammed Amin al-Husseini, der sogar Hitler getroffen hat. Beide teilten die Idee, die Juden zu vernichten – und später dann Israel.

Was sollte Europa jetzt tun?

Aufhören die radikalen Islamisten zu unterstützen.

Dr. Amer Albayati, 1942 in Bagdad geboren, ist ein prominenter Journalist, der für sämtliche internationale Print- und TV-Medien arbeitet und häufig TV-Studio-Gast ist. Mit dem Islamismus und Terrorismus hat er sich auch als Buchautor befasst. Er floh aus dem Irak und lebt seit 1980 mit seiner Familie in Wien.

Amer Albayati ist auch Buchautor. Seine Tätigkeit brachte ihm auch die Feindschaft des IS ein.