Deutschland und ganz Europa sind mit der Rückkehr der Taliban in Afghanistan einer erhöhten Terrorgefahr ausgesetzt. Das unterstreicht der deutsche Terrorismusforscher Peter Neumann: “Ich denke, dass sich die unmittelbare Terrorgefahr erhöht hat. Nicht nur direkt aus Afghanistan, sondern weil in der dschihadistischen Szene nun nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder eine positive Stimmung herrscht. Es wird – auch in den sozialen Medien – versucht, eine Art Momentum zu schaffen, das Leute motivieren soll”, sagte er in einem Interview mit der “Welt”.

Mai 2017: Terrorexperte Peter Neumann gemeinsam mit Sebastian Kurz (ÖVP), damals Außenminister. Neumann war anlässlich der OSZE-Konferenz gegen Terrorismus in Wien.APA/AUSSENMINISTERIUM/DRAGAN TATIC

Der Politikwissenschaftler gründete 2008 das International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR) am King’s College und war bis 2018 auch dessen Direktor. Neumann wertete für seine Forschung die Facebook-, Twitter- und Instagram-Profile von IS-Kämpfern in Syrien und dem Irak aus. Das ICSR  gilt als Vorreiterrolle bei der Entwicklung neuer Forschungsansätze auf dem Gebiet der Terrorismusforschung.

In der jetzigen Situation gelte es, die Lage in Afghanistan genau zu verfolgen, meint Neumann: “Mittelfristig muss man beobachten, ob in Afghanistan erneut eine chaotische Situation entsteht, wie es vor 20 Jahren schon einmal der Fall war – damals wurde das Land zum Rückzugsraum für international orientierte terroristische Gruppen.”

Bei Rot-Grün-Rot würde Deutschland bei Außen- und Sicherheitspolitik nicht mehr ernst genommen werden

Für Deutschland sei die Einrichtung eines nationalen Sicherheitsrats wünschenswert, sagt Neumann, der seit 3. September zum achtköpfigen Zukunftsteam des Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet gehört und dort für Sicherheitsfragen zuständig ist. Die gemeinsam mit Laschet vorgestellte Agenda sehe “eine Sicherheitspolitik aus einem Guss” vor, bei der innere und äußere Sicherheit besser vernetzt werden. Das habe etwa bei Deutschlands Militäreinsatz in Afghanistan gefehlt.

Vor allem müssten bei Auslandseinsätzen von Anfang an Ziele klar definiert sein. “Sobald man seine Ziele definiert hat, müssen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die diesen Zielen angemessen sind. Und das war in Afghanistan nicht der Fall.” Bei linken Parteien fehle allerdings generell die Bereitschaft, “realistische Außenpolitik zu machen, die sich auch an Auslandseinsätzen beteiligt.” Im Falle einer rot-grün-roten Bundesregierung “würde Deutschland in diesen Politikbereichen schlicht und einfach nicht mehr ernst genommen werden.”

Man brauche bewaffnete Drohnen und eine Bundeswehr, die auch Inlandseinsätze macht

Deutschlands linke Parteien sind zurzeit nicht bereit, Mittel für die Bundeswehr bereitzustellen, damit sie ihren Aufgaben in der jetzigen Situation auch nachkomme, kritisiert Peter Neumann. Es brauche “eine schlagkräftige, gut ausgerüstete Armee”.

Neumann nennt Beispiele: “Wir wollen, dass unsere Leute geschützt werden, etwa durch bewaffnete Drohnen.” Im Falle eines Anschlags wie am 11. September 2001 “sollte das Land in der Lage sein, sehr schnell sehr viele Menschen mobilisieren zu können, um das Land zu sichern. Das kann nur die Bundeswehr. In so besonderen Gefährdungslagen müssen wir auf die spezifischen Fähigkeiten der Bundeswehr im Innern unterstützend zurückgreifen können – natürlich unter Führung der Polizei und im Rahmen festgelegter Grenzen.”

Online-Durchsuchungen und intelligente Videosicherheitstechnik sind nötig

Ebenso brauche es entsprechende Instrumente der Kriminalitätsbekämpfung mit Blick auf das Internet, Online-Durchsuchungen etwa oder intelligenter Videosicherheitstechnik. Hier müsste noch Möglichkeiten geschaffen werden, “zum Beispiel bei verschlüsselten Nachrichten über Messenger-Dienste.” Videoschutz sei an bestimmten Brennpunkten beziehungsweise Gefahrenorten einzusetzen.  Angesichts der Bedenken von Links hält Neumann fest: “Intelligente Videokameras, die durch moderne, effiziente und innovative Technik mehr Sicherheit bringen und zugleich zielgerichteter Datenschutzinteressen berücksichtigen, aus ideologischen Gründen abzulehnen, halte ich nicht für zielführend.”

Eines steht für den Terror-Experten fest: “Wenn der liberale Staat nicht mehr in der Lage ist, Ordnung herzustellen, dann mach es eben andere.”