Seit 2020 wird die heimische Öffentlichkeit am laufenden Band mit privaten Chats von Politikern und Journalisten versorgt. Das ist in diesem Ausmaß problematisch, unterstreicht der Medienanwalt Peter Zöchbauer in einem Kommentar für den „Kurier“. Obwohl sämtliche SMS strafrechtlich bedeutungslos waren, hatten sie teils massiv negative Konsequenzen für die Betroffenen. Aber: „Das Führen von Strafverfahren ist Aufgabe der Justiz, die nicht von einer selbst ernannten ‚Medienjustiz‘ ersetzt oder beeinflusst werden darf“, warnt der Top-Jurist.

Der bekannte Wiener Medienanwalt Peter Zöchbauer

Veröffentlichung ohne öffentliches Interesse widerspricht dem Mediengesetz

Die SMS der vergangenen zwei Jahren stammen aus Ermittlungsakten. Ihre Veröffentlichung war für die Betroffenen oft höchst unangenehm, obwohl ein öffentliches Interesse oft nicht erkennbar war. Zöchbauer nennt ein Beispiel: „Die Frage, ob ein ehemaliger Parteichef seinen Vorgänger in privater Kommunikation gegenüber einem Dritten beschimpft hat, ist aus juristischer Perspektive ohne Nachrichtenwert.“ Damit nimmt er auf eine Bemerkung von Sebastian Kurz über Reinhold Mitterlehner Bezug.

Ex-Parteichef Reinhold Mitterlehner mit dem damaligen Außenminister Sebastian Kurz (r.): Dass auch beide nicht sonderlich mochten, dokumentiert auch ein Chat-Verlauf.APA/ROLAND SCHLAGER

Es gibt kein Recht auf völlige Transparenz für die Öffentlichkeit

Dass einige Medien von solchen Sagern anscheinend gar nicht genug bekommen können, steht eigentlich in Konflikt mit dem Mediengesetz.

Strafrechtliche Ermittlungsverfahren sind öffentlich sind zugänglich und das hat einen Grund, unterstreicht Zöchbauer: „Dadurch sollen unter anderem die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen geschützt werden.“ Für einige Medien scheint offensichtlich eine andere Grundregel zu gelten, und sie lautet: „völlige Transparenz auch auf Kosten verfassungsrechtlich … geschützter Grundrechte“. Mittlerweile sei „das Veröffentlichen von Inhalten vertraulicher Chats aus Ermittlungsakten zum Teil journalistischer Alltag.“

Ein Recht auf völlige Transparenz gebe es nicht, auch die Medienfreiheit sei „nicht absolut“. Es gibt auch den Schutz der Betroffenen, und der bestehe vor allem für private, aber auch für berufliche Nachrichten, ob Mails, SMS oder Chat-Nachrichten – „so sie nach Intention des Verfassers nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollen“. Jeder darf erwarten, dass nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Nachrichten auch die Öffentlichkeit nicht erreichen. Das nennt sich „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“.

Bei vorsätzlichen Straftaten besteht ein öffentliches Interesse

Natürlich gilt das nicht immer. Chats sollen an die Öffentlichkeit, aber nur wenn sie laut Mediengesetz „in unmittelbarem Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben“ stehen. „Nur dann, wenn ein Inhalt der Privatsphäre eine unmittelbare Relevanz für das öffentliche Leben hat, schlägt das Pendel zugunsten der Medienfreiheit aus.“ Bei einer möglichen vorsätzlichen Straftat eines Spitzenpolitikers ist das zweifelsohne der Fall.

Pikant ist auch, dass die Chats aus Ermittlungsakten stammen. Hier helfen die Medien demnach den Ermittlern nicht, denn sie berichten über etwas, das diese schon kennen: „Das, was der Behörde bekannt ist, muss man nicht aufdecken, damit es untersucht wird.“