In einem neuen Interview mit „The Postil Magazine“ stellte sich Hersh – wie schon zuvor gegenüber dem eXXpress –  hinter seinen Artikel vom Februar, dem zufolge der Sabotageakt auf die Gasleitungen in der Ostsee eine CIA-Aktion im Auftrag des Weißen Hauses war. „Ich habe drei Monate an dieser Geschichte gearbeitet. Das war nicht etwas, das ich gestern gemacht habe.“

Schlimme Folgen für Deutschland

Dramatische Konsequenzen befürchtet der preisgekrönte Journalist zum einen für Deutschland, das zwar bisher den Winter überstanden habe, weil er mild war und weil das Land Reserven hatte. „Aber das nächste Jahr wird sehr schlecht für die Industrie. Die Deutschen konnten zwar alternatives Gas kaufen, aber nichts kam an das süße Methangas aus Russland heran“, meint Seymour Hersh. Das verflüssigte Erdgas (LNG) ist überdies teurer. Das fehlende Gas aus Russland werde existenziell bedrohlich für die Bäckereien, denn es werde nicht reichen, „um das Brot zu produzieren, das sie verkaufen könnten.“

Das alles werde „schlimm werden“ – und das nicht nur für Deutschland. „Es wird auf Biden zurückfallen, und ich denke, dass es für ihn bis Mitte des Jahres eine politische Katastrophe sein wird.“

Bundeskanzler Olaf Scholz (l.) zu Besuch bei US-Präsident Joe BidenAPA/AFP/Andrew Caballero-Reynolds

Weitere Vertuschungen möglich

Möglicherweise werde Washington nun nochmals versuchen, seine Spuren zu verwischen. Das Weiße Haus könnte eventuell eine neue Studie in Auftrag geben, „die in zwei Wochen herauskommt und besagt, dass wir uns das Problem angesehen haben und wir und bestimmte Teile der CIA sagen, dass wir nicht wissen, was passiert ist; aber es gibt keine Anzeichen dafür, dass Amerika es getan hat. Ich bin sicher, dass das die nächste Lüge sein wird, die kommt.“ Eines werde aber auch nicht die Studie sagen: „Dass Putin das getan hat.“

Das Weiße Haus könnte eine Studie in Auftrag geben, um seine Spuren zu verwischen, mutmaßt Hersh.

Angst vor Deutschlands Unabhängigkeit von den USA

Auch auf die Motive von US-Präsident Jos Biden geht Hersh in dem Interview neuerlich ein. Grundlegend für die Entscheidung, Nord Stream zu sprengen, sei vor allem eine elementare Furcht gewesen: Die USA hätten „seit fünf Generationen Angst davor, dass russisches Gas und Öl zu einer Waffe wird, zu einer politischen Waffe in Europa für Russland“. Das sah der Präsident nicht anders: „Biden hat darüber Reden gehalten, als er Vizepräsident war. Jack Kennedy hat Reden darüber gehalten. Auch ich habe darüber geschrieben.“

Auch auf Die Unabhängigkeit Deutschlands und teilweise sogar der NATO gegenüber den USA habe Joe Biden darüber hinaus Angst gemacht, sagt Seymour Hersh. Begonnen habe diese Unabhängigkeit mit „der Gleichgültigkeit gegenüber dem US-Engagement für den Irak-Krieg.“

Das Gasleck verursachte Blasen an der Wasseroberfläche im schwedischen MeerSchwedische Küstenwache/Handout/Anadolu Agency via Getty Images

Im Krieg ist bestenfalls eine Pattsituation erreichbar

Auch der Verlauf des Ukraine-Krieges dürfte mit ein Grund für Joe Biden gewesen sein, die Nord-Stream-Pipelines sprengen zu lassen. Denn ein Sieg der Ukraine sei unwahrscheinlich geworden. „Ich denke, Ende September war klar, dass das Beste, was die Vereinigten Staaten in diesem Krieg mit Selenskyj und der Korruption an der Spitze des Militärs erreichen konnten, eine Pattsituation sein würde.“ Das ist politisch brisant: „Wir haben in Zeiten der Inflation 120 Milliarden Dollar in diesen Krieg gesteckt!“

Das Weiße Haus befürchtete, „dass Deutschland und sogar die NATO in den kommenden sechs Monaten vielleicht nicht ganz auf unserer Seite stehen werden, wenn dieser Krieg weitergeht, mehr Geld kostet und zu nichts führt.“ Die Überlegung: „Also werde ich ihnen keine Chance geben, das zu tun, wegzugehen, denn ich werde ihnen das Gas wegnehmen, ich werde ihre Pipeline sprengen. Und deshalb macht Deutschland bis jetzt immer noch mit.“