Mit Prognosen ist das so eine Sache. Als der Westen massive Sanktionen gegen Russland verhängt hat, rechneten sämtliche Analysten mit einer raschen und vor allem deutlichen Schwächung Russlands. Wenige Monate später überraschte die russische Volkswirtschaft dann viele mit einem erstaunlich starken Rubel und ungebrochen hohen Einnahmen aus den Rohstoff-Exporten.

Ein Jahr später macht das Gerede von der “Entdollarisierung” die Runde. Anlass sind Bemühungen einiger wichtiger Staaten sich gemeinsam mit Russland von der dominanten US-Währung zu lösen. Doch näher besehen greifen die Überlegungen zu kurz, sagt Ralph Schöllhammer von der Webster Universität.

Ralph Schöllhammer ist regelmäßiger Studio-Gast bei eXXpressTV.eXXpressTV

Das Ende des Dollars ist in aller Munde – doch viele Fakten sind nicht neu

Der US-Dollar ist seit 1945 die weltweit dominante Währung. Er hat somit eine herausragende Bedeutung für das Weltfinanzsystem. Er ist die mit Abstand am meisten gehandelte Währung und ist bei beinahe 90 Prozent aller Devisenmarkt-Transaktionen beteiligt. Das könnte sich nun ändern, meinen Beobachter. Der Grund: Der Westen steht mit seinen gegen Russland verhängten Sanktionen ziemlich isoliert da. Und: Die übrige Welt will zunehmend mit ihren eigenen Währungen handeln. Der Vorgang nennt sich “Entdollarisierung”. Nach Meinung des makroökonomischen Analysten Philip Pilkington sollte dieser Prozess im internationalen Handel sogar beschleunigt werden.

Der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva intensiviert die Zusammenarbeit mit China.APA/AFP/EVARISTO SA

Der jüngste Anlass für die Annahme einer Entdollarisierung: Brasilien und China wollen in ihren eigenen Währungen handeln. Ralph Schöllhammer sieht hier allerdings ein Problem: “Die beiden Länder haben diese Vereinbarung bereits mehrfach angekündigt – 2009, 2013 und nun erneut für 2023. Wenn die Geschichte ein Indikator ist, handelt es sich um ein Routinegespräch zwischen der brasilianischen und der chinesischen Führung, das bisher keine nennenswerten finanziellen Folgen nach sich gezogen hat”, schreibt der Politologe in der Online-Plattform “Unheard”.

Der Dollar dominiert den Energie-Handel

Als weiteres Beispiel wird der Flüssiggas-Handel in chinesischen Renminbi zwischen der China National Offshore Oil Corporation (CNOOC) und dem französischen Unternehmen TotalEnergies angeführt. Wie der Energieexperte Anas Alhaji unterstreicht, stammt das Flüssiggas (LNG) jedoch aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und wurde weder in Euro noch in Yuan, sondern in US-Dollar bezahlt, sodass “die französisch-chinesische Transaktion bestenfalls symbolischen Charakter hat”.

Die Abfahrt der ersten unabhängigen Tiefsee-Ölbohranlage der China National Offshore Oil Corp. (CNOOC) aus dem Hafen von Qingdao in der ostchinesischen Provinz Shandong.APA/AFP/CHINA OUT

Behauptungen, dass die OPEC den Dollar abschaffen wird, gibt es seit 1975. “Obwohl der Dollar etwas an Boden verloren hat, ist keine Alternative in Sicht”, unterstreicht Schöllhammer. “Der Anteil des US-Dollar an den offiziellen Devisenreserven der Welt liegt bei 60 Prozent, der des Yuan bei 2,76 Prozent. Der Dollar hat sich seit 1995 um die 60-Prozent-Marke herum bewegt. Was noch aussagekräftiger ist: Laut einem Vergleich der Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich liegt der US-Dollar-Anteil an den internationalen Transaktionen seit 1989 konstant bei etwa 90 Prozent.

China profitiert von der Stellung des Dollar

Mit anderen Worten: Das alles sei mehr Show, aber keineswegs eine neue, sagt Schöllhammer: “Das Schreckgespenst eines verschwindenden Dollars schaffte es 2004 sogar auf die Titelseite des ‘Economist’, aber wenn die letzten 19 Jahre etwas gezeigt haben, dann ist es die Widerstandsfähigkeit der Währung. China genießt zwar den Medienrummel um den angeblich bevorstehenden Niedergang der USA, aber es ist nicht klar, ob es oder ein anderes Land bereit wäre, die Weltreservewährung abzugeben, selbst wenn es das könnte.”

Das Gerede von der Entdollarisierung sorgt für einen Medienrummel, den Chinas Präsident Xi Jinping genießt. Doch hat China tatsächlich ein Interesse daran, aus dem Renminbi die neue Leitwährung zu machen?APA/AFP/SPA

Darüber hinaus profitiert Chinas Wachstumsmodell vom Status des US-Dollar als Weltreservewährung, sagt Michael Pettis, ein Senior Fellow bei der Carnegie Endowment. Um ihn zu ersetzen, müsste die Chinesische Volksbank die Federal Reserve ablösen. “Dies würde jedoch auch bedeuten, dass die chinesischen Finanzinstitute das gleiche Maß an Transparenz und weltweitem Vertrauen benötigen wie ihre US-amerikanischen Pendants”, sagt Schöllhammer. “Nichts davon scheint wahrscheinlich, und es ist nicht einmal klar, ob China seiner eigenen Währung vertraut. Ein Großteil der Projekte der Gürtel- und Straßeninitiative wird in US-Dollar finanziert, was die ungebrochene Dominanz Washingtons in der Finanzwelt verdeutlicht.”

Eine neue Gemeinschaftswährung gegen den Dollar ist unwahrscheinlich

Zurzeit gewinnt die Idee einer BRICS-Währung – also eine gemeinsame Währung von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – an Fahrt. Sie soll sogar mit Gold oder Rohstoffen unterlegt sein, heißt es. Das hält Ralph Schöllhammer aber für höchst unwahrscheinlich, denn es “setzt ein Maß an politischer und institutioneller Integration zwischen den BRICS-Mitgliedsstaaten voraus, das einfach nicht vorhanden ist. Außerdem ist die Vorstellung, dass Indien – sowohl ein regionaler als auch ein globaler Konkurrent Chinas – Peking und Moskau ein Mitspracherecht in seiner Finanz- und Währungspolitik einräumt, zum jetzigen Zeitpunkt politische Fiktion.”

Der russische Außenminister Sergej Lawrow (l.) bei einem Treffen mit seinem chinesischen Amtskollegen Qin Gang in New Delhi.APA/AAFP/RUSSIAN FOREIGN MINISTRY

Trotz aller Probleme des Westens seien die USA und die EU kohärente Akteure “mit tief verwurzelten institutionellen Strukturen, die nur schwer zu replizieren sind”. Dass sich eine Währungsunion alles andere als leicht verwirklichen lässt, hat die Einführung des Euro gezeigt, bei der die Kosten unter den Mitgliedstaaten ungleich verteilt waren. Aber immerhin gab es eine gemeinsame Vision. “Es gibt keine vergleichbare gemeinsame Vision zwischen Indien, Brasilien, China, dem Iran, Russland und den anderen Staaten, die die Einführung einer gemeinsamen Währung ermöglichen würde. Im Moment und noch für einige Zeit wird der Dollar bestehen bleiben.”