Rached al-Ghannouchi, Chef der islamistischen Ennahda-Partei und von Staatspräsident Kaïs Saïed abgesetzter Parlamentsvorsitzender, will Hilfe von Europa und fordert über eine Video-Botschaft dazu auf, Druck auf Tunesien auszuüben, um zur Demokratie zurückzukehren und das Parlament wieder zu öffnen, das von Präsident und Militär geschlossen wurden. Al-Ghannouchi warnte darüber hinaus vor komplettem Chaos, das die Region und auch benachbarte Länder erschüttern werde.

Wie dem eXXpress übermittelt wurde, drohte al-Ghannouchi auch mit 500.000 Flüchtlingen, die nach Europa strömen würden.

Die Auflösung des tunesischen Parlaments durch Staatspräsident Kaïs Saïed wurzelt vor allem in der Wirtschaftskrise des Landes. Saïed rechtfertigte seine Entscheidung mit der Verfassung. Für die Entlassung des  Premierministers und die Auflösung des Parlaments für 30 Tage berief sich der Jurist auf den Paragraph 80 der tunesischen Verfassung. Dieser gesteht dem Präsidenten das Recht zu, bei drohender “schwerer Gefahr für Einheit, Sicherheit und Unabhängigkeit des Landes” außergewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen. Zudem habe er, ebenfalls der Verfassung entsprechend, vor seinem Schritt die Vorsitzenden der zentralen staatlichen Institutionen und damit unter anderem den Regierungschef und den Parlamentsvorsitzenden – Hichem Mechichi und Rachid al-Ghannouchi – kontaktiert.

Bevölkerung steht hinter dem Präsidenten und wünscht Ende der Korruption

Rachid al-Ghannouchi und die Ennahda-Partei sprechen aber bis heute von einem “Staatsstreich”. In der Bevölkerung scheint Präsident Kaïs Saïed für sein Vorgehen aber zunehmend Zustimmung zu ernten. Mittlerweile hat er mehrere Personen – darunter den Direktor des staatlichen Fernsehens und den Militärstaatsanwalt – entlassen. De Hauptvorwurf: Korruption und Plünderung öffentlicher Gelder. Die wirtschaftliche Krise und die Corona-Pandemie hatten das Land bereits in eine desolate Situation gebracht. Zahlreiche Posten werden von Persönlichkeiten der Ennahda-Partei besetzt. Sämtliche Bürger geben den Islamisten nun die Schuld an der Misere. Einer Umfrage des Ehmrod-Instituts zufolge begrüßen 87 Prozent der Tunesier die Entscheidungen des Präsidenten.

Der ägyptische Journalist Hossam Sadek unterstreicht: “Die meisten politischen Parteien und Beobachter sind jedoch der Ansicht, dass die Ennahda-Bewegung das Land angesichts der Covid-19-Krise und einer erdrückenden politischen Stagnation bereits an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hat”. Hinzu kämme eine “sehr schwierige wirtschaftliche Lage, in der sich das Land nach zehn Jahren der Kontrolle des politischen Systems durch die Muslimbruderschaft befindet.” Die Ennahda-Partei ging aus der Muslimbruderschaft hervor und wird ihr noch heute zugerechnet, trotz manch distanzierender Stellungnahmen.

Al-Ghannouchi betätigt sich seit den 70er Jahren in der islamistischen Opposition

Rached al-Ghannouchi betätigte sich in den 70er- und 80er Jahren in der verbotenen islamistischen Opposition gegen die säkulare tunesische Staatsführung. Er wurde mehrfach inhaftiert. 1989 ging er nach einer Haftstrafe ins politische Exil nach London, seine Bewegung wurde in Ennahda umbenannt. Nach dem Arabischen Frühling im Jahr 2011 kehrte Ghannouchi als Anführer der Bewegung nach Tunesien zurück. Seine Partei wurde bei der ersten Wahl mit 37 Prozent der Stimmen stärkste Kraft. Ghannouchi strebte zunächst kein politisches Amt an, wurde aber nach der Wahl 2019 Parlamentspräsident.