Sechs Millionen Ukrainer sind nach Schätzung des UNHCR zurzeit auf der Flucht, 3,2 Millionen von ihnen befinden sich in Polen, etwa 60.000 leben momentan in Österreich. Gleichzeitig habe gerade der Krieg “uns alle vereint”, erzählt die ukrainische Juristin Svitlana Kalitsun auf eXXpressTV. Sie lebt schon seit vielen Jahren in Wien und arbeitet hier mittlerweile als Verhandlungstrainerin. Seit Beginn der Invasion widmet sie sich gemeinsam mit ihren Verwandten ganz der Hilfe für die vertriebenen Ukrainer, wie sie im Gespräch mit eXXpress-Redakteur Stefan Beig berichtet.

Svitlana Kalitsun im Gespräch mit eXXpress-Redakteur Stefan BeigeXXpressTV

"Waren vom Ausmaß der Invasion überrascht"

Auch in der Ukraine seien die Menschen von den Ausmaßen der Invasion am 24. Februar überrascht gewesen, obwohl der Krieg schon 2014 mit dem Einmarsch in die Krim und in den Donbass begonnen hat. Der Zusammenhalt unter den Ukrainern sei seither noch stärker geworden. Ihre eigene Familie wurde spontan aktiv, erzählt Svitlana Kalitsun: “Begonnen hat es mit der Flucht meiner Schwägerin.” Sie hat in der Ukraine gleich zu Beginn der Invasion ihre Sachen gepackt – um dann mit ihrem Baby am Arm drei Tage lang an der Grenze zu stehen und zu warten, bis sie endlich ausreisen konnte. “Sie musste ausharren, doch sie war darauf nicht vorbereitet. Sie hatte nicht genug Sachen mit. Also haben wir ihr Geld und Essen geschickt.”

Aus dem Engagement für die Schwägerin erwuchs die Hilfe für sämtliche ukrainische Flüchtlinge. “Mittlerweile unterstützen wir Heime, die Menschen aufnehmen”, sagt die Juristin. “Meine Mutter macht Maltherapie für die Flüchtlingskinder in Wien. Ebenso helfen wir Medikamente zu kaufen, einzusammeln und zu sortieren. Wir unterstützen die Menschen dabei, hier in Österreich um zum Deutschkurs zu finden, sich zu registrieren, eine Beschäftigung zu finden und wir helfen auch den Kindern.”

Aufnahme in privaten Haushalten funktioniert sehr gut

Überaus dankbar ist sie für die Hilfe in Österreich: “Wir sind von dieser großen Unterstützung überwältigt.” Gerade zu Beginn der Invasion habe das sehr geholfen. Ein ukrainischer Arzt hat gemeint: “Die Freundschaft gibt Hoffnung, dass wir das Ganze überleben.”

Auch jetzt funktioniere alles sehr gut in Österreich. Viele ukrainische Vertriebene wurden in privaten Haushalten aufgenommen. Interessanterweise entstehen dort kaum Spannungen, berichtet Kalitsun: “Ich bin jedes Mal überrascht: Es passt alles. Es funktioniert – irgendwie.” Gleichzeitig sitzen die Ukrainer aber auf ihren Koffern und warten darauf heinzukehren. “Sie wollten eigentlich nur für ein oder zwei Wochen kommen. Jetzt sind es schon zwei Monate hier und die Kinder müssen zur Schule gehen.” Aber alle wollen zurück in die Ukraine.

Die Ukrainer planen bereits für den nächsten Winter

Mittlerweile hat Svitlana Kalitsun mit Fundraising für die Flüchtlinge begonnen und dafür eine Website eingerichtet. “Das Geld wird auf das treuhänderische Konto überwiesen, das ich betreue.” Ihre Freunde hätten sie dazu überredet. “Ich überweise das Geld an jene, die es brauchen, darunter auch ein Heim in Lemberg. Es ist alles überprüfbar.”

In der Ukraine beginnen die Menschen bereits für den nächsten Winter zu planen. “Die Leute bauen jetzt ihr Haus um, damit sie das Gas nicht verwenden müssen.”

Zum ersten Mal vertrauen die Ukrainer ihrer Regierung

Das Besondere der Situation für die Ukrainer: “Zum ersten Mal haben wir Vertrauen in die eigene Regierung. Das ist etwas ganz Neues”, unterstreicht Svitlana Kalitsun. “In der Ukraine wurden wir so oft belogen. Die Korruption war ständig präsent. Das Vertrauen in die Politik war sehr gering – bis zum Krieg.” Die Selbstversorgung durch die Community sei schon vorher sehr wichtig gewesen, weshalb auch die Familie so bedeutsam war und die Menschen schon in jungen Jahren geheiratet haben. “Nur jetzt halten diese Familien auch die Regierung zusammen. Nun wird der Zusammenhalt von den Leuten erstmals von unten nach oben zum Präsidenten getragen.”