Wegen der anhaltenden Kämpfe zwischen Russland und der Ukraine um das Atomkraftwerk Saporischschja hat UN-Generalsekretär António Guterres vor einer Atomkatastrophe gewarnt. Vor einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats am Mittwoch in New York zur Situation des größten europäischen AKW im Süden der Ukraine äußerte sich Guterres „zutiefst besorgt“.

Das Kernkraftwerk SaporischschjaAPA/AFP/Ed JONES

„Bedauerlicherweise gab es in den vergangenen Tagen keine Deeskalation, sondern Berichte über weitere zutiefst besorgniserregende Vorfälle. Wenn sich diese fortsetzen, könnte dies zu einer Katastrophe führen.“

Russland und Ukraine schieben sich die Schuld zu

Das AKW im Süden der Ukraine, das seit Monaten unter russischer Kontrolle steht, war am Wochenende mehrfach beschossen und teils beschädigt worden. Die kritische Infrastruktur soll aber weiter intakt sein. Russland und die Ukraine geben sich gegenseitig die Schuld. Am Mittwoch griffen russische Einheiten mit Raketenwerfern Ortschaften in der Umgebung an. Dabei starben nach ukrainischen Angaben mindestens elf Menschen. Die Angaben konnten von unabhängiger Seite nicht überprüft werden.

Sechs Blöcke erzeugen 40 bis 42 Milliarden kWh Strom und machen das Kernkraftwerk Saporischschja zum größten Kernkraftwerk nicht nur in der Ukraine, sondern auch in EuropaDmytro Smolyenko/Future Publishing via Getty Images

Russland halte das Atomkraftwerk Saporischschja als Geisel und nutze es zur Erpressung, erklärte der ukrainische Präsident Selenskyj: „Wir müssen Europa vor dieser Bedrohung schützen“, sagte Selenskyj. Saporischschja sei nicht nur das größte Atomkraftwerk Europas, sondern auch eines der größten der Erde. Der Kreml wiederum erklärte: Die russische Luftabwehr habe ukrainische Angriffe auf das AKW sowie die nahe gelegene besetzte Stadt Enerhodar vereitelt. Die Ukraine soll nach russischen Angaben das Atomkraftwerk Saporischschja am Donnerstag zwei Mal unter Beschuss genommen haben.

Guterres fordert von beiden Seiten Truppenabzug

Der UN-Sicherheitsrat soll sich auf russische Initiative mit dem Beschuss beschäftigen. Dabei soll auch der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, Auskunft über den Zustand des AKW geben. Russland verwehrt internationalen Experten bisher den Zugang.

1. Mai 2022: Ein russischer Soldat patrouilliert auf dem Gelände des Kernkraftwerks Saporischschja in Energodar.APA/AFP/Andrey BORODULIN

Guterres appellierte an beide Seiten: „Ich fordere die Streitkräfte der Russischen Föderation und der Ukraine auf, alle militärischen Aktivitäten in unmittelbarer Nähe des Werks unverzüglich einzustellen und nicht auf seine Einrichtungen oder Umgebung zu zielen.“ Truppen müssten abgezogen werden, die Anlage dürfe nicht für Kämpfe genutzt werden. Das Gebiet müsse entmilitarisiert werden.

Atomexperte: Bei Stromausfall ist Kernschmelze fast unvermeidlich

Nach ukrainischen Angaben über gekappte Stromleitungen im Atomkraftwerk Saporischschja warnt der deutsche Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital vor einem möglichen Stromausfall in der Anlage. „Die Stromversorgung ist die Lebensader eines Atomkraftwerks, da es auch in ausgeschaltetem Zustand gekühlt werden muss“, sagte Smital am Donnerstag in Berlin. Wenn es einen kompletten Ausfall sowohl von Stromnetz als auch von Notstromaggregaten gebe, „ist eine Kernschmelze fast unvermeidlich“, warnte er.

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) sieht keine großen Gefahren für Deutschland durch die Kämpfe. Das Risiko für Deutschland im Falle einer nuklearen Katastrophe in Saporischschja sei „relativ gering“, sagte der Leiter der Abteilung Radiologischer Notfallschutz im BfS, Florian Gering, dem Portal „ZDFheute.de“.