Ob US-Dollar, brasilianischer Real, Euro oder Bitcoin: Sämtliche Venezolaner verwenden im Alltag alternative Währungen, denn ihre eigene, der Bolivar, ist bald nichts mehr wert.

Was passiert, wenn Staaten unentwegt Geld drucken, zeigte Venezuela vor. Erst kürzlich, mit 1. Oktober, hat die venezolanische Regierung sechs Nullen aus ihrer hyperinflationären Währung gestrichen. Bisher war der Geldschein mit dem höchsten Nennwert von einer Million Bolivar weniger als 0,25 Dollar wert. Nun wurde er durch einen Ein-Bolivar-Schein ersetzt. Gleichzeitig wurde ein 100-Bolivar-Schein im Wert von etwa 21,56 Euro als neue höchste Stückelung des Bolivars eingeführt.

Ein Laib Brot kostet sieben Millionen Bolivars

Die Währungsumstellung ersparte der Regierung die Peinlichkeit, einen 100-Millionen-Bolivar-Schein ausgeben zu müssen, damit die Menschen alltägliche Dinge kaufen können, ohne dabei Bündel von Geldscheinen mit sich herumtragen zu müssen. Zuletzt war nämlich der Preis für einen Laib Brot auf sieben Millionen Bolivars gestiegen. Natürlich wird die willkürliche Verkleinerung des Nennwerts der Währung die Inflation nicht bremsen, da die neuen Geldscheine genauso billig gedruckt werden können wie die alten. Der Bolivar hat allein im Jahr 2021 bereits 73 Prozent seines Wertes verloren, und der Internationale Währungsfonds schätzt, dass die jährliche Inflationsrate bis Jahresende 5500 Prozent erreichen wird.

Ein Arbeiter zählt venezolanische Bolivares in hoher Menge, die aber nicht mehr viel wert sindAPA/AFP/Juan BARRETO

Die Bürger sind solche Umstellungen schon gewöhnt. Die Zentralbank des einstmals reichen Öllandes hat seit 2008 in drei Abwertungsrunden bereits 14 Nullen gestrichen. Wenig verwunderlich verwenden daher mit Ausnahme der ärmsten Venezolaner sämtliche Bürger den Bolivar als Tauschmittel überhaupt nicht mehr, geschweige denn als Wertaufbewahrungsmittel oder als Rechnungseinheit.

In Caracas und anderen Großstädten ist der US-Dollar das bevorzugte Tauschmittel, während der kolumbianische Peso entlang der kolumbianischen Grenze, insbesondere in der Regionalstadt San Cristobal, dominiert. Der brasilianische Real ist an der südlichen Grenze zu Brasilien gebräuchlich, und auch der Euro und Kryptowährungen wie Bitcoin haben Nischenanwendungen gefunden.

Ganz spontan ist eine Goldwährung entstanden

Erstaunlich ist die spontane Entstehung einer reinen Goldwährung in einer abgelegenen Region im Südosten Venezuelas um die Städte Tumeremo und El Callao. Die Region ist reich an Edelmetallerzen und lockt seit langem Schürfer und Bergleute an, die hier ihr Glück suchen. Heute jedoch werden viele der größeren Minen vom Militär kontrolliert, das gegen lokale Banden und Guerillas kämpft. Trotz der Gewalt und der Gesetzlosigkeit strömen arbeitslose Venezolaner aus nah und fern in die Region, um in den florierenden illegalen Minen zu arbeiten und sich dafür mit Goldnuggets bezahlen zu lassen.

Auf der Suche nach Gold in der Goldmine La Culebra in El Callao.APA/AFP/JUAN BARRETO

Goldnuggets sind natürlich vorkommende Goldstücke mit hohem Goldanteil, die sich durch Wind, Regen oder Strömungen ohne menschliches Zutun aus goldhaltigen Gesteinsformationen gelöst haben. Mittlerweile werden in Venezuela Goldplättchen mit Handwerkszeugen aus den rohen Nuggets herausgeschält. Zurzeit sind diese Plättchen die bevorzugten Währung in der Region geworden.

Die Preise für Waren und Dienstleistungen werden in Gramm Gold angegeben. Für ein halbes Gramm Gold erhält man eine Übernachtung in einem örtlichen Hotel, während ein Essen für zwei Personen in einem chinesischen Restaurant und ein Haarschnitt ein Viertel bzw. ein Achtel Gramm kosten.

Obwohl das Leben in den Minen hart und gefährlich ist, machen sich seit Jahren unzählige Menschen aus dem ganzen Land in überfüllten Lastwagen auf den Weg zu den Minen.APA/AFP/JUAN BARRETO

Auch in Städten dringt Gold in den Handel ein

Die Goldplättchen werden in den Taschen der Menschen mitgeführt – in der Regel eingewickelt in die fast wertlosen Bolivar-Notenscheine. Einige Geschäfte sind zwar mit Waagen ausgestattet, um die Goldplättchen zu wiegen, aber die meisten Verkäufer und ihre Kunden sind mit den Plättchen so vertraut, dass sie diese nach Augenmaß bewerten.

So sind sich beispielsweise der Friseur und sein Kunde, der das Geschäft für den Haarschnitt abschließt, einig, dass drei Goldplättchen dem Preis von einem Achtel Gramm (etwa 4,31 Euro) entsprechen. Auch in den nahe gelegenen Städten wie der Regionalhauptstadt Ciudad Bolivar dringt das Gold allmählich in den Handel ein, da die Geschäfte in den Einkaufszentren das Gold gerne im Tausch gegen Dollars von Bergleuten annehmen, die ihr Geld loswerden wollen.

Präsident Nicolas Maduro dürfte kein Interesse daran haben, Gold als vollwertige Währung zu akzeptieren und zu fördern.APA/AFP/Federico PARRA

Damit ist Gold aber noch immer nicht eine vollwertige Währung. Dazu müssten die rohen Nuggets in geeignete Formen und Größen geprägt und ihr Gewicht und ihr Feingehalt von seriösen Unternehmen zertifiziert werden. Nach wie vor bestechen aber rechtliche Hindernisse für private Münzstätten. Hinzu kommen Verkaufs- und Kapitalertragssteuern auf Gold. Unter der Maduro-Regierung  wird sich daran wohl kaum etwas ändern. Daher begnügt sich das Volk mit dieser Goldnugget-Währung und kommt mit ihr zurzeit, wie es scheint, ganz gut über die Runden.

Hyperinflation das Ergebnis von 20 Jahren Sozialismus

Venezuelas Hyperinflation ist das Resultat jahrelanger staatlicher Eingriffe in den Devisenhandel, die Preise fast aller Güter und Dienstleistungen und natürlich die Geldpolitik. Darüber hinaus wurden ganze Branchen verstaatlicht.

Anders als in der Zeit des verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez kann sich das Ölland nicht mehr über einen boomenden Öl-Expert freuen. Im Gegenteil: Es exportiert immer weniger Öl. Um die Importe zu finanzieren, lässt die Regierung die Notenpresse immer schneller laufen. Die Inflation war in den vergangenen zwei Jahrzehnten meist zweistellig. Im Jahr 2017 wurde sie mit 438 Prozent erstmals dreistellig – und schießt seither durch die Decke. Der bisherige Höhepunkt der Geldentwertung fand 2018 mit 130.000 Prozent Entwertung statt. Im vergangenen Jahr hat der Boliviano 1984 Prozent verloren, wie das unabhängige Wirtschaftsinstitut Oberservatorio Venezolanao de Finanzas berichtet.