Im Irak war er gefürchtet, in Wien läuft er frei herum: Der 31-jährige Yasir M. S. fungierte früher als Geheimagent der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) und musste deshalb in Österreich eine mehrjährige Haftstraße absitzen. Nach seiner vorzeitigen Entlassung im April 2021 konnte er seine Abschiebung erfolgreich verhindern – dank einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Ein gebürtiger Iraker, der Yasir auf offener Straße erblickte, konnte seinen Augen nicht trauen: „Ich kann nicht fassen, dass er sich hier wieder auf freiem Fuß bewegt“, erzählte er unter Schock dem eXXpress.

Wen Yasir auslieferte, dem drohten Folter, Auspeitschung, öffentliche Hinrichtung

Im Irak wollte sich Yasir unbedingt an der Errichtung eines totalitären Gottesstaates unter dem IS  beteiligen. Seine „radikal-religiöse“ Einstellung sei ausschlaggebend gewesen, wie die heimischen Behörden festhalten. Yasir stellte sich als Spion in den Dienst des IS. Schon bald waren nicht einmal seine eigenen Verwandten mehr vor ihm sicher.

Yasir M. S. spionierte seine Landsleute aus und meldete jeden, der sich nicht gemäß den Regeln des IS verhielt. Ein nicht Scharia-konformes Leben oder eine nicht vom IS vertretene Glaubensrichtung waren Grund genug, um von Yasir den Schergen der Terrororganisation übermittelt zu werden. Die Konsequenzen für die Personen – in den Augen des IS „Ungläubige“ – waren entsetzlich. Sie reichten von Folter und Peitschenhieben bis hin zu öffentlichen Hinrichtungen. Yasir soll vereinzelt sogar Familienangehörige an den des IS ausgeliefert haben, wie Iraker berichteten.

Er blieb überzeugter Anhänger des IS: Per Telefon bedrohte Yasir zwei Cousins mit dem Tod

Im Sommer 2015 reiste Yasir in die Türkei und von dort mit Hilfe von Schleppern über Ungarn nach Österreich. Unter falschem Namen suchte er um Asyl an, mit der Begründung, er werde von schiitischen Milizen bedroht, diese würden alle Sunniten grundlos töten. Seine Überzeugungen legte er in Österreich nicht ab. Eine Cousin, der sich damals in Finnland aufhielt. bedrohte Yasir am Telefon: Er werde ihn samt Frau und Kindern ermorden, richtete er ihm am Telefon aus. Einem anderen Cousin im Irak erklärte Yasir, er werde ihn und seine beiden Brüder verstümmeln.

Im November 2016 wurde Yasir M. S. verhaftet, nachdem ihn andere Iraker in einer Grazer Asylunterkunft als IS-Anhänger enttarnt hatten. Wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und gefährlicher Drohung wurde er im November 2017 zu sieben Jahren Haft verurteilt, später wurde das Strafausmaß nach Yasirs Berufung auf sechs Jahre und acht Monate gesenkt.

„Hochbrisanter Prozess“: Sämtliche Zeugen wagten es nicht, öffentlich auszusagen

Der Prozess fand unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Der Richter sprach beim Prozessauftakt von einem „hochbrisanten Prozess“: „Kaum ein Zeuge wollte freiwillig herkommen.“ Die Zeugen hatte große Angst um sich und ihre Angehörigen. Manche sind „plötzlich erblindet und kommen nicht, um auszusagen“, berichtete der Richter. Getrennt vom Angeklagten schilderte ein Zeuge, wie Yasir M. S. Leute verraten und erpresst hat: „Er hat Polizisten im Irak verraten. Die wurden alle vom IS verschleppt und umgebracht.“ Beweise aus dem Internet belegten darüber hinaus, dass die irakische Regierung nach Yasir M. S. wegen seiner Mitgliedschaft beim IS fahndete.

Yasir wurde im April 2021 vorzeitig aus der Haft entlassen. Sein Asylstatus wurde ihm aberkannt, die Abschiebung war bereits geplant. Weil er „eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich“ ist, ist er „von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ausgeschlossen“, stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest. Doch es kam anders: Yasir berief gegen seine Abschiebung – mit Erfolg: Das Bundesverwaltungsgericht entschied, seinen Aufenthalt ein weiteres Jahr lang zu „dulden“. Der Grund: Aufgrund seiner Tätigkeit für den IS drohe Yasir im Irak kein faires Verfahren, sowie Folter und andere Misshandlungen.

Yasirs Aufenthalt ist unrechtmäßig, doch seine Abschiebung zurzeit „nicht möglich“

Gleichzeitig bekräftigte das Gericht, dass Yasir „sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet verloren“ hat. Der Aufenthalt von geduldeten Personen ist weiterhin unrechtmäßig, die Ausreiseverpflichtung bleibt aufrecht – nur liegt halt ein Hindernis für die Abschiebung vor. Wer für den IS gekämpft oder so wie Yasir M. S. zum „Funktionieren der Strukturen des IS“ beigetragen hat, wie das Gericht selbst festhält, kann dieser Argumentation zufolge nicht abgeschoben werden. Mit anderen Worten: IS-Mitgliedschaft schützt vor Abschiebung.

Jener Iraker, der Yasir in Wien gesehen hat, ist nach wie vor fassungslos: „Die Menschen haben noch immer Angst vor ihm. Er hat schwere Verbrechen begangen.“