Eigentlich waren Peyo und sein Besitzer Hassen Bouchakour auf eine Karriere im Dressurreiten eingestellt, doch das Schicksal hatte andere Pläne für das unzertrennliche Duo aus Pferd und Reiter. Denn während manche Pferde (so wie ihre Besitzer) darin aufgehen, sich gegen die Konkurrenz zu beweisen und diese mit noch höheren Spitzenleistungen auszustechen, hatte Peyo schon Turnierzeiten ganz andere Prioritäten: Das Pferd legte nämlich schon damals ein enormes Interesse an Menschen und eine besondere Feinfühligkeit, ja Empathie im Umgang mit den Zweibeinern an den Tag.

Peyo verabschiedet sich rückwärts von einem PatientenScreenshot / Twitter

Nach den Auftritten bei den Dressur-Shows suchte Peyo sich nämlich gezielt Menschen in der Menge aus und ging direkt auf die Leute seiner Wahl zu. Das Pferd suchte die Nähe ganz bestimmter Menschen und nach Beobachtungen und Gesprächen mit den Personen, die Peyo auserwählt hatte, um ihnen Gesellschaft zu leisten oder sich manchmal auch streicheln zu lassen, kam seinem Reiter ein erleuchtender Verdacht: Sein Pferd schien so etwas wie eine Art Antenne, einen “sechsten Sinn” für Menschen zu haben, denen es nicht gut ging: Seien es körperliche oder seelische Schmerzen, Krankheit oder Trauer – Peyo schien zu spüren, dass diesen Menschen eine besondere Last auf den Schultern lag. Und diese Menschen suchte der Hengst immer und immer wieder auf.

Dieses mehr als außergewöhnliche und sensible Verhalten Peyos war es, das seinen Reiter Bouchakour davon überzeugte, dass dieses einzigartige Pferd für viel mehr bestimmt war, als “nur” ein Turnierpferd zu sein. Und so war es auch: Mittlerweile ist Peyo hauptberuflich “Pflegepferd”, seit fünf Jahren schon macht er regelmäßig Krankenbesuche – aber nicht irgendwelche. Peyos Haupteinsatzgebiet ist die Palliativstation des Spitals in Calais, einer Hafenstadt im Norden Frankreichs. Dort hat er mittlerweile den Spitznamen “Docteur Peyo” erhalten – also “Doktor Peyo”- und ist der unangefochtene Lieblingsdoktor aller Patienten.

Und Peyos Arbeit ist keine Leichte: Um die tausend Personen haben Peyo und sein Reiter Hassen in dieser Zeit bereits sterben sehen. Aber Peyo macht weiter, und das zielgerichtet: Der inzwischen 15-jährige Hengst sucht sich im Spital sogar die Patienten aus, in deren Zimmer er gehen will. Indem er einen Huf hebt oder vor der Tür stehen bleibt, in der ein Patient liegt, den er besuchen möchte, zeigt er an, wer ihn interessiert – oder braucht. Hassen, der seien Aufgabe nur darin sieht, seinem Tier zu folgen und es bei seiner Berufung zu unterstützen, ist mittlerweile nämlich felsenfest davon überzeugt, dass Peyo Krebserkrankungen und Tumore sowie den nahenden Tod eines Menschen spüren kann und sich aus irgendeinem Grund nicht abwendet, sondern es ihn genau zu diesen Menschen zieht.

Peyo tröstet die 24-jährige Manon, deren Krebs Methastasen gebildet hat, und ihren kleinen Sohn Ethan (7). Dass das Pferd so nahen Kontakt sucht und sogar "Küsschen" verteilt, ist seltenFacebook / Les Sabots du Coeur / Jeremy Lempin / Aftenposten

Diese Ansicht teilt Peyos Besitzer übrigens auch mit dem kompletten Personal des Spitals sowie der gemeinnützigen Organisation “Les Sabots du Cœur”, die die Arbeit von Peyo und Bouchakour aus therapeutischem Interesse unterstützt. Veterinärmediziner sind ebenfalls davon überzeugt, dass Peyos Gehirn “nach eigenen Gesetzen” funktioniert. Es scheint ihn instinktiv zu den Schwerkranken hinzuziehen – aber warum dem so ist, kann sich auch die Wissenschaft nicht erklären – aber es braucht keine Erklärung und auch längst keine Beweise mehr dafür, dass Peyos Arbeit Menschenleben berührt und zum Positiven verändert. Das ist Fakt. Niemand, der die Ehre hat, eine Begegnung von Peyo mit Patienten zu beobachten, kann dies leugnen, keinen lässt dieses Erlebnis unberührt.

Peyo ist ein einzigartiges TierFacebook / Les Sabots du Coeur / Jeremy Lempin / Aftenposten

Das Pferd schafft kleine Wunder im Alltag – es heilt die Menschen zwar nicht, aber es macht unschätzbar wertvolle Geschenke: Alzheimerkranke, die jeden Bezug zu sich und der Welt verloren haben und teilnahmslos vor sich hin leben, wirken plötzlich wach und wenden sich dem Pferd zu. Patienten, die seit Ewigkeiten kein Wort sagen, lösen sich aus der Stille und sprechen zum ersten Mal seit Ewigkeiten ein paar Worte. Patienten, die eine niederschmetternde Diagnose in eine Schockstarre versetzt hat, lösen sich aus ihrem Schock und beginnen zu weinen, als würde sich etwas lösen. Solche Szenen sind nichts Ungewöhnliches, wenn “Doktor Peyo” zu Besuch ist, viele solcher Momente sind auch auf Video festgehalten.