Der Politikberater Franz-Stefan Gady nennt die “drei wichtigsten operativen Probleme der ukrainischen Streitkräfte in den kommenden Tagen”: Erstens den Zusammenbruch von Kiew, zweitens eine Einkreisung im Osten, und drittens die Unterbrechung der Nachschublinien aus dem Westen samt Verunmöglichung der Umgruppierung der Kräfte Ukrainiens. Franz-Stefan Gady ist Analyst am Institute for International Strategic Studies (IISS) in London. Er berät Regierungen und Streitkräfte in Europa und den USA.

Video von zerschossenem russischen Konvoi

Noch hält der ukrainische Widerstand. Zurzeit tobt schweres Feuergefecht an verschiedenen Stellen, unter anderem nördlich von Kiew. Videos zeigen, wie ein russischer Konvoi zerschossen wird. Der Soldat trägt dabei eine NLAW-Panzerabwehrrakete (Next Generation Light Anti-Tank Weapon).

Eine Schlüsselfrage für die Ukraine bei der Bewältigung der drei Probleme könnte der Zeitfaktor sein. Je länger der Widerstand anhält und die Ukraine die Eroberung Kiews und der restlichen Regionen durch Russland zurückhalten kann, desto schwieriger wird es für Russlands Präsidenten Wladimir Putin, den Krieg fortzusetzen. Bei anhaltenden Verlusten droht ihm der Unmut der Bürger. 

Gunnar Heinsohn: "Putin will siegen, aber nicht kämpfen"

Hinzu kommt: Russland hat zwar eine Armee von hoher Kampfkraft, aber nur wenige junge Männer. Das Durchschnittsalter ist in den vergangenen Jahrzehnten permanent angestiegen. Wenn nun viele der wenigen jungen Männer fallen, droht Putin der “Zorn der Mütter”. Putin “hätte Mütter und Witwen vor dem Kreml”, meint der Wirtschaftswissenschaftler Gunnar Heinsohn in einem  Artikel für das Flossbach von Storch Research Institute. Heinsohn hat am Nato Defense College das Fach der Kriegsdemografie eingeführt und bis 2020 gelehrt.

“Selbst unter dem Kommunismus – im Afghanistankrieg von 1979 bis 1989 – hatten die Frauen keine Angst, gegen das Sterben von am Ende 13.000 Mann zu protestieren”, sagt Heinsohn. Seine These: “Putin will siegen, aber nicht kämpfen”

Selenskyj ruft alle freiwilligen Kämpfer auf, in die Ukraine zu kommen

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist sich dessen offensichtlich bewusst. Er hat mittlerweile öffentlich jeden, der bei der Verteidigung der Ukraine helfen will, aufgerufen, in das Land zu gehen, dort werde er Waffen erhalten. Selenskyj hofft auf breite Solidarität mit der Ukraine. Immerhin hat sich der Kreml mit seinen Kriegen in den vergangenen Jahrzehnten bei mehreren Völkern nicht nur “beliebt” gemacht – höflich formuliert. Aus Solidarität mit der Ukraine und aus Rache an Putin könnten sich Angehörige anderer Völker am Kampf gegen die russische Armee beteiligen.

Je länger der Krieg anhält, desto besser für die Ukraine. Das weiß auch Präsident Selenskyj (Bild)getty

Putin schickt 10.000 tschetschnische Truppen in die Ukraine

Aber auch Putins “Friedenstruppen” ruhen nicht. Etwa 10.000 tschetschenische Truppen der Russischen Nationalgarde sollen auf persönlichen Befehl von Tschetscheniens Präsidenten Ramsan Achmatowitsch Kadyrow in die Ukraine verlegt werden sein. Kadyrow herrscht seit 2007 wie ein Diktator in der Teilrepublik Tschetschenien. Er gilt als treuer Vasall Putins.

Zwischen der Ukraine und Russland bahnt sich ein harter, verlustreicher Kampf an.