Eine System von Steuergutschriften für Energieinvestitionen hat in Italien zu beispiellosen Betrügereien geführt, zu “den größten, die diese Republik je gesehen hat“, wie der italienische Finanzminister Daniele Franco nun vor Journalisten in Rom eingeräumt hat. Vor allem eine Steuergutschrift namens “Superbonus 110” hat es den Menschen angetan. Sie erfreut sich bis heute besonders großer Beliebtheit in Italien. Mit dieser Gutschrift können Häuser- und Wohnungsbesitzer 110 Prozent ihrer Kosten von der Steuer absetzen. Sie können den Bonus auch auf Bauunternehmen übertragen. Diesen werden dann 110 Prozent des Auftragswerts rückerstattet, etwa für den Bau von Wärmedämmung, Solaranlagen oder Maßnahmen zur Erdbebensicherung, die sie keinen Cent mehr kosten.

Superbonus aus Pandemie geboren

Wenn ein Hausbesitzer seine Steuergutschrift an ein Bauunternehmen überträgt, kann dieses dann die Rechnung wiederum auf null senken, weil es selbst die Steuerreduzierung nutzt. Wie oft die Renovierungen die Immobilienbesitzer wirklich gar nichts kosteten, ist unklar.

Eingeführt wurde der Superbonus, als die Pandemie ausgebrochen ist. Die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung hat sich besonders vehement für den Mammut-Zuschuss  eingesetzt, der den Staat seither mehr als 38 Milliarden Euro gekostet hat. Freilich: Die Zuwendungen der EU-Staaten verringern die Kosten für Italien erheblich. Immerhin 14 Milliarden Euro erhält das Land aus dem Wiederaufbaufonds zur Steigerung der Energieeffizienz.

Steuergutschriften im Wert von 2,3 Milliarden Euro beschlagnahmt

Die italienische Justiz beschlagnahmte in der Zwischenzeit Steuergutschriften im Wert von 2,3 Milliarden Euro wegen Betrugsverdachts, wie Ministerpräsident Mario Draghi berichtet. Schätzungen zufolge könnte der Schaden mehr als vier Milliarden Euro betragen. Der Leiter der italienischen Steuerbehörde, Ernesto Ruffini, spricht bereits von einem “besorgniserregenden Gesamtbild”_ Kriminelle Organisationen in ganz Italien hätten mit nicht existierenden Steuergutschriften gehandelt und über Scheinfirmen Arbeiten vorgetäuscht, die nie stattfanden. “In einigen Fällen wurde der Erlös aus dem Betrug ins Ausland transferiert”, sagte Ruffini.

Problematische Bauunternehmen wollten auch ein Stück vom Kuchen

Das Bonus-System führte auch zu gewaltigen Preissteigerungen bei Arbeiten zur Energieeffizienz. Darüber hinaus sind problematische Bauunternehmen in das Geschäft eingestiegen. Dem “Corriere della Sera” zufolge kamen in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres täglich 64 (!) neue Unternehmen auf den Markt. Die Behörde der Arbeitsinspektion berichtete, dass in derselben Zeitspanne 91 von 100 besuchten Baustellen die Vertrags-, Versicherungs- und Sicherheitsvorschriften nicht einhielten. Die in Italien ohnehin hohe Zahl der Arbeitsunfälle soll nochmals deutlich gestiegen sein.

Draghi gibt zu: "Wir sind selber Schuld"

Eine Schwachstelle ist, dass die Steuergutschriften zwischen Privatpersonen, den sanierenden Unternehmen und Banken hin- und hergeschoben werden dürfen. Darüber hinaus gibt Ministerpräsident Draghi zu: “Wir sind in dieser Situation, weil wir ein System aufgebaut haben, das nur sehr wenige Kon­trollen vorsieht.”

Die italienische Regierung will nun mit schärferen Kontrollen gegen diese systematischen Betrügereien vorgehen. “Die Regierung will, dass das System funktioniert”, sagte Draghi Ende vergangener Woche. Draghi wollte den Superbonus bereits im Vorjahr auslaufen lassen. Doch die Parteien von links bis rechts setzten eine Verlängerung der populären Steuergutschrift durch. Erst von 2024 an soll sie schrittweise gesenkt werden.