“Wien ist anders”: Der bekannte Slogan der ehemaligen lebenswertesten Stadt der Welt bekommt im Angesicht der jüngsten Verschärfung der Corona-Maßnahmen für viele einen fahlen Beigeschmack. Denn obwohl mit Anfang Juli eine ganze Welle an Lockerungen erlassen wurde (angefangen von den Erleichterungen bei der Maskenpflicht bis zum Fall der Sperrstunde und sogar der Wiedereröffnung der Nachtgastronomie), wurde wie berichtet an einem empfindlichen Punkt verschärft: bei unseren Kindern.

Seit 1. Juli müssen nämlich nicht nur Erwachsene und Jugendliche, sondern auch schon Kinder ab sechs Jahren einen Nachweis gemäß der 3-G-Regel erbringen, um Freizeitangebote wie einen Besuch im Bad, im Restaurant oder auch einen Urlaub in einem Hotel wahrnehmen zu können. Gleichzeitig gelten aber keine Wohnzimmertests mehr, und auch Testungen vor Ort, wie sie in Lokalen und Hotels bis vor kurzem noch erlaubt waren, werden in der Bundeshauptstadt nicht mehr anerkannt. Das sorgt nun für Probleme an allen Ecken und Enden.

Wiener reagieren mit Hauptstadt-Boykott auf die Kinder-Testpflicht

Bereits als der eXXpress von den geplanten Änderungen der Stadtregierung rund um Bürgermeister Michael Ludwig und Gesundheitsstadrat Peter Hacker berichtete, gingen die Wogen unter den eXXpress-Lesern in den Kommentarspalten hoch und auch Prominente wie unter anderem Nina Proll erbosten sich über diese Regelung – die Schauspielerin schoss scharf gegen Ludwig. Der Grundtenor hier: “Nicht mit uns, und vor allem: Nicht mit unseren Kindern!” Viele Eltern und Kindern stellt die auf das Volksschulalter herabgesetzte Regelung nicht nur vor logistische Probleme. Im oft vollgepackten Familien-Zeitplan ist es nicht immer einfach, noch einen Zwischenstopp an einer der (zugegebenermaßen mittlerweile zahlreichen) Teststraßen und Apotheken einzulegen, doch auch diese Einrichtungen haben begrenzte Öffnungszeiten und viele Kinder haben nur bedingt Geduld mit bzw. großen Respekt vor den “Nasenbohrtests”.

NÖ-Wirt: "Noch nie so viele Wiener auf meinem Parkplatz gesehen"

Die Lösung für dieses Problem liegt für viele Eltern nun nah: Boykott. Statt ins Bad zu gehen, legt man sich an die Donauinsel oder an den See, anstatt ins Lokal in Wien zu gehen, weicht man auf Restaurants in Niederösterreich aus.

Dass dies wirklich passiert, und das en masse, davon kann der Obmann der Fachgruppe für Gastronomie der Wirtschaftskammer Wien, Peter Dobcak, ein Lied singen. Gegenüber dem eXXpress erzählt er von der besorgniserregenden Entwicklung der letzten Tage: “In den vergangenen Tagen hat die Gastronomie in Wien im Vergleich zu den Tagen vor Inkrafttreten der neuen Testpflicht ab sechs Jahren einen deutlichen Geschäftseinbruch erlebt. Das vermelden Kollegen aus allen Ecken Wiens – und parallel dazu habe ich Anrufe von Wirten aus Niederösterreich bekommen, die nicht mehr gewusst haben wohin mit den ganzen Wienern, die ihnen die Türen eingetreten haben. Ein Lokalbetreiber hat mir geschworen, dass er noch nie so viele Wiener Kennzeichen auf seinem Parkplatz gesehen hat. Da muss man nur 1 und 1 zusammenzählen, woran das liegt”, erzählt Dobcak.

Dobcak: "Wir brauchen eine gemeinsame Lösung - und zwar schnell"

“Und das, was hier seit 1. Juli passiert, wird nicht einfach so aufhören, wenn hier nicht eine gemeinsame Lösung gefunden wird – und zwar schnell”, so der Gastro-Obmann weiter. “Nach dem langen letzten Lockdown ist es wichtiger denn je, dass die Betriebe ihr volles Potential ausschöpfen können und alle Gäste, die sie besuchen kommen möchten, bewirten können. Wenn sich die Gäste aber aufgrund äußerer Umstände dagegen entscheiden – und genau das passiert hier – ist das sehr schwierig für uns”, erklärt Dobcak.

“In den letzten Tagen wurden einige Familienessen und Ausflüge in ganz Wien storniert. Ein Wochenende können wir, ja müssen wir wohl verkraften. Aber es ist in unser aller Interesse, wenn wir hier so schnell wie möglich eine neue Lösung finden, die genauso im Sinne aller gesundheitlichen, aber auch moralischen und wirtschaftlichen Interessen ist. Und sicher – aber das versteht sich von selbst. Um das zu erreichen, wollen wir nun mit der Stadtregierung in Dialog treten. Wir haben bereits Lösungsvorschläge erarbeitet und freuen uns, wenn wir hier einen gemeinsamen Weg finden”, führt Dobcak aus.

Schon am ersten Wochenende 5 Prozent Stornos bei Familienbuchungen

Der Fachgruppenobmann der Hotellerie Wien, Dominic Schmid, kann die direkten negativen Auswirkungen, welche die neue Regelung auf die Betriebe hat, nur bestätigen: “Es sind erst wenige Tage seit der Verschärfung der 3-G-Regel vergangen, aber die Folgen sind direkt eingetreten. In genauen Zahlen lässt sich der Impact natürlich so schnell noch nicht ausdrücken, aber allein am vergangenen Wochenende sind rund fünf Prozent an Stornos bei Familienbuchungen eingegangen. Das ist signifikant”, so der Chef-Hotelier, der erklärt: “Das zeigt klar: Die Testpflicht für Kinder ab sechs Jahren wirkt abschreckend. Die Eltern wollen das ihren Kindern einfach nicht antun – und suchen sich andere Alternativen. Davon profitiert niemand.”

Wenig verwunderlich also, dass sowohl Schmid als auch Dobcak hier keine Zeit verlieren möchten und offen das Gespräch mit Stadtrat Hacker und Bürgermeister Michael Ludwig suchen. Schmid weiter: “Wir sind darauf bedacht, jetzt so schnell wie möglich eine gemeinsame Lösung zu finden. Wien ist anders, ja, aber hier kann und darf Wien nicht anders sein als andere Metropolen. Jede Stadt ermöglicht ihren Besuchern in diesen Zeiten Testungen vor Ort, und wir haben ja bereits bewiesen, dass es möglich ist, die 3-G-Regel in unseren Betrieben lückenlos zu erfüllen. Eine Vor-Ort-Testung unter 4-Augen-Prinzip ist effizient und sicher – und gerade in Hinblick auf die weitere Pandemieentwicklung, die neue Delta-Variante und vorsorgend für den Herbst, so schaffen wir Kontrolle.”

Fachgruppenobmänner auf Mission um Wiener Sommer zu retten

Eine Testung vor Ort in Gastronomie und Hotellerie war bis Juli erlaubt, doch die neue Verschärfung hat diese Option gänzlich unter den Tisch fallen lassen. Das birgt eine Reihe an Problemen, wie Schmid erläutert: “Wenn nur noch Tests aus offiziellen Teststraßen gültig sind, ist das nicht nur eine rein logistische Hürde. Wer außerhalb der Öffnungszeiten dieser Teststraßen anreist und keinen gültigen Nachweis hat, den dürfen wir nun nicht mehr beherbergen. Und das ist besonders bei Gästen mit weiterer Anreise, wie beispielsweise aus Deutschland, ein Problem.”

Trotzdem zeigen sich sowohl der Hotellerie-Fachgruppenobmann als auch der Obmann der Gastronomie optimistisch, dass hier schnell eine gemeinsame Lösung gefunden werden kann. Man habe bereits schlüssige Konzepte erarbeitete, mit denen man an Hacker und Ludwig herantreten wolle, um den Sommer für die Wiener Freizeitbetriebe zu retten.

Wiener Prater als Vorzeigemodell für eine Lösung?

Bevor die Fachgruppenobmänner ihre Gespräche mit Hacker und Ludwig nicht geführt haben, konnten sie freilich auch dem eXXpress ihre Lösungsvorschläge noch nicht verraten. Ein positives Beispiel, wie es auch jetzt funktionieren kann, bietet aber beispielsweise der Wiener Wurstlprater, wie der Präsident des Wiener Praterverbands, Stefan Sittler-Koidl, verrät: “Für uns im Wiener Prater steht das Vergnügen und natürlich auch die Gesundheit unserer Besucherinnen und Besucher – egal ob Jung oder Alt – sowie unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an oberster Stelle. Nachdem zur Benützung bzw. für den Besuch der Schausteller- und Gastronomiebetriebe ein gültiger Nachweis einer geringen epidemiologischen Gefahr (Test, Impfung, Genesung) vorgewiesen werden muss, stehen im Wiener Prater auch COVID-Teststationen zur Verfügung. Dort werden kostenlose Antigen-Schnelltests durch geschultes Personal angeboten. Einen gültigen Test für den Wiener Prater zu bekommen, ist also nicht schwierig. Wir wollen es unseren Besucherinnen und Besuchern so einfach wie möglich machen, einen schönen Tag bei uns zu verbringen!”

Vor-Ort-Testungen (wieder) möglich zu machen, scheint auf jeden Fall eine der machbarsten Lösungen zu sein. Ob dies auch in den Plänen von Dobcak und Schmid steht, erfahren wir bestimmt bald – mehr gibt es morgen auf eXXpressTV, wenn die beiden Fachgruppenobmänner live um 8 Uhr morgens bei uns zu Gast sind.