Mehrere ukrainische und europäische Journalistenorganisationen haben heftige Kritik an dem neuen Mediengesetz geübt, das kürzlich unter Präsident Wolodymyr Selenskyj verabschiedet wurde. Das Gesetz gibt der Regierung wesentlich mehr Macht und Einfluss auf die Nachrichtenanbieter im Land.

Kritik von westlichen Staaten oder von Seiten der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist bis heute nicht zu hören, zur Verwunderung von Ricardo Gutiérrez, dem Generalsekretär der Europäischen Journalistenföderation. „Wir sind überrascht über die fehlende Reaktion der westlichen Länder“, erklärte Gutiérrez gegenüber SVT, dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Schweden). „Wir verstehen nicht, warum sie Selenskyj nicht sagen, dass dieses Gesetz nicht unseren Standards entspricht. Ich würde sagen, dass es für die Ukraine unmöglich sein wird, mit so einem Gesetz der EU beizutreten.“

Selenskyj besucht Joe Biden in Washington: Zurzeit signalisieren westliche Regierungen nur Unterstützung für Kiews Kurs.

Selenskyj ordnete neues Mediengesetz bereits mit Amtsantritt an

Wie der eXXpress berichtete unterzeichnete Selenskyj zum Jahresende ein Gesetz, das der Regierung umfassende Kontrolle über die ukrainischen Medien und Journalisten verschafft. Der Gesetzentwurf wurde bereits vor zwei Jahren ausgearbeitet, also ein Jahr vor der Invasion Russlands. Gleich nach seinem Amtsantritt im Jahr 2019 hatte Selenskyj die Ausarbeitung des Gesetzes zur Stärkung der Medienregulierung angeordnet.

Somit kann die Regierung auch nicht die jetzigen Kämpfe gegen Russland als Vorwand für diesen von Journalistenorganisationen heftig kritisierten Versuch staatlicher Zensur anführen. „Unserer Meinung nach wird dieses Gesetz eine willkürliche Zensur durch die ukrainische Regierung ermöglichen“, sagt Gutiérrez. In einer Erklärung erklärte auch die Nationale Journalistengewerkschaft der Ukraine, das Gesetz stelle eine „Bedrohung“ für die Pressefreiheit im Land dar. „Solche Befugnisse sind eindeutig übertrieben“, schrieb die Organisation.

Ricardo Gutiérrez ist überrascht über das laute Schweigen des Westens zur neuen Zensur in der Ukraine.

„Den schlimmsten autoritären Regimen würdig“

Als die Entwürfe veröffentlicht wurden, sprachen sich mehrere internationale Medienorganisationen gegen das Gesetz aus, darunter das Komitee zum Schutz von Journalisten und der Europäische Journalistenverband. Ricardo Gutiérrez erklärte gegenüber der New York Times, das Gesetz widerspreche europäischen Standards für Pressefreiheit. „Die Ukraine wird ihr europäisches Engagement durch die Förderung freier und unabhängiger Medien unter Beweis stellen, nicht indem sie staatliche Kontrolle der Informationen einführt“, sagte Gutiérrez.

Bereits im Juli hatte der Europäische Journalistenverband die ukrainischen Behörden aufgefordert, den Entwurf des Mediengesetzes zurückzuziehen. Das Gesetz „schlägt vor, der nationalen Regulierungsbehörde, dem Nationalen Rundfunkrat, willkürliche und unverhältnismäßige Regulierungsbefugnisse zu erteilen, die nicht nur für audiovisuelle Medien, sondern auch für Print- und digitale Medien gelten sollen“, erklärte der Verband. Ricardo Gutierrez unterstrich: „Die im Gesetzentwurf vorgesehene Zwangsregulierung in den Händen einer vollständig von der Regierung kontrollierten Regulierungsbehörde ist den schlimmsten autoritären Regimen würdig. Sie muss zurückgenommen werden.“

Nicht registrierte Nachrichtenseiten können geschlossen werden

Kiew bestreitet die Vorwürfe. Laut der Regierung zielt das Gesetz darauf ab, mit der EU-Gesetzgebung in Einklang zu stehen und russische Propaganda zu verhindern. Das Gesetz gibt dem Nationalen Rat für Fernsehen und Radio mehr Einfluss, schreibt Yahoo News. Dabei werden die Mitglieder des Rats von den Abgeordneten ernannt. Dem Kiewer Independent zufolge können Nachrichtenseiten, die sich nicht registriert haben, von der Behörde geschlossen werden. „Der Fernseh- und Rundfunkrat untersteht der vollen Kontrolle des Präsidenten“, sagt dazu Ricardo Gutiérrez.

Im vergangenen Sommer erhielt die Ukraine den Status eines Beitrittskandidaten, der es ihr ermöglicht, mit der EU über eine Mitgliedschaft zu verhandeln. Laut Gutiérrez ist dies jedoch keine Option für ein Land, das den Medienpluralismus nicht fördert und in dem die Regierung und die Gemeinden einen Großteil der Medien kontrollieren.