Brüssel war zuletzt selten für Entlastung oder wirtschaftliche Vernunft bekannt – umso erstaunlicher die Nachricht dieser Tage: Ein zentrales Projekt des umstrittenen EU-Green-Deals steht vor dem Aus. Das sogenannte Lieferkettengesetz soll nicht 2027 kommen, auch nicht 2028 – sondern überhaupt nicht. Berlin und Paris preschen vor. Die Regelung hätte europäische Unternehmen haftbar gemacht – für Kinderarbeit, Umweltverschmutzung oder Menschenrechtsverstöße von Zulieferern in aller Welt.

Von der Leyens „Green Deal“ ausgebremst

Deutschlands Kanzler Friedrich Merz machte vergangene Woche Nägel mit Köpfen: „Wir werden in Deutschland die nationale Vorschrift aufheben, und ich erwarte von der EU, dass sie die europäische Regulierung auch abschafft.“ Frankreichs Präsident Macron legte nach: „Diese und andere Regulierungen müssen beseitigt werden.“

Damit setzen sich zwei Schwergewichte Europas gegen den ausufernden Regelungsdrang durch – und gegen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die den „Green Deal“ einst als ihr politisches Meisterstück präsentierte.

Ihr Prestigeprojekt vor dem Aus: Ursula von der Leyen muss mit ansehen, wie Paris und Berlin das Lieferkettengesetz zu Fall bringen.APA/AFP/POOL/Kenzo TRIBOUILLARD

Massive Bedenken: „Realitätsfern“, „Bürokratie pur“, „Generalverdacht gegen Unternehmer“

Doch was hätte das Gesetz tatsächlich bedeutet? Rund 13.000 Unternehmen in Europa – ab 500 Mitarbeitern – sollten gezwungen werden, komplexe Prüfmechanismen über ihre gesamten globalen Lieferketten zu legen. Hätten Zulieferer in Asien oder Afrika gegen Menschenrechts-, Umwelt- oder Arbeitsnormen verstoßen, hätten europäische Firmen mit Klagen, Bußgeldern oder gar Boykottkampagnen rechnen müssen. Kritiker warnten früh: Das Gesetz sei realitätsfern, schiebe den Rechtsstaat ins Private ab – und schade jenen, die es schützen wolle.

Der Aufschrei aus der Wirtschaft war dementsprechend groß. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sprach von „Bürokratie pur“, der österreichische Wirtschaftsbund von einem „Generalverdacht gegen Unternehmer“. Mittelständler warnten vor Millionenkosten für externe Berichte und Beratungen, ohne dabei real Einfluss auf entfernte Lieferanten ausüben zu können. Auch Industrieverbände in Frankreich und Italien übten scharfe Kritik – und bekommen nun Rückendeckung von höchster politischer Stelle.

Wifi-Ökonom: Belastung für kleine Unternehmen unterschätzt

Auch aus der Wirtschaftswissenschaft kommt nun Rückhalt. Wifo-Ökonom Harald Oberhofer erklärte im Interview mit dem Online-Medium Selektiv: „Das Instrument ist möglicherweise weder geeignet, das Ziel zu erreichen, noch stellt es die kosteneffizienteste Lösung dar.“ Die Richtlinie sei ökonomisch fragwürdig und „lagert eine öffentliche Aufgabe – nämlich die Sicherstellung rechtlicher Standards – an Private aus“. Aus Sicht eines Volkswirts wäre es sinnvoller, „Institutionen in Entwicklungsländern zu stärken“, statt Konzerne zu verpflichten, „tausende Zulieferer minütlich zu überwachen“.

Zudem warnt Oberhofer davor, die Belastung kleiner Unternehmen zu unterschätzen. Auch sie könnten von Berichtspflichten betroffen sein, „wenn ein großes Unternehmen, an das sie liefern, gewisse Kennzahlen einfordert“. Damit sei klar: Die Richtlinie hätte weite Kreise gezogen – und sei eben nicht nur ein Problem für große Konzerne.

Seine politische Einschätzung ist eindeutig: „Seit Frankreich und Deutschland hier auf einer Linie sind, ist die Wahrscheinlichkeit deutlich gestiegen, dass die Lieferkettenrichtlinie in dieser Form nicht kommen wird.“

Inmitten von Wachstumsflaute, Wettbewerbsdruck und Energiekrise scheint Europas Wirtschaftssinn wieder zu erwachen. Von einer alles erdrückenden Klimamoral verabschieden sich die EU-Staaten zunehmend.