Experte: Blackout-Gefahr ist 2022 so hoch wie nie zuvor
Gleich mehrere Faktoren führen dazu, dass die Gefahr eines Blackouts – also eines längerfristigen Stromausfalls mit verheerenden Folgen – im kommenden Jahr massiv steigt, wie der renommierte Experte Herbert Saurugg im Interview mit dem eXXpress analysiert. Auch das Auftreten der Omikron-Variante spielt eine Rolle.
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass ein Blackout noch in diesem Winter kommt?
“Niemand hat eine Glaskugel, so auch ich nicht. Aber die Gefahr ist durch verschiedene negative Rahmenbedingungen wohl noch nie so hoch, wie im kommenden Winter. Das hängt mit er Abschaltung einer großen Menge an Atom- und Kohlekraftwerken in Deutschland bis Ende des Jahres zusammen. Zum anderen sind die Gasspeicher so schlecht gefüllt, wie schon lange nicht mehr. Aber gerade für diese Lücke werden nun Gaskraftwerke gebraucht. Denn im Stromversorgungssystem muss immer genau so viel erzeugt werden, wie gerade verbraucht wird. Kommt eine Kältewelle vor allem in Südwesteuropa, also auf der Iberischen Halbinsel und in Frankreich dazu, dann könnte es ziemlich brenzlig werden.
Aber im Prinzip geht es nicht um eine Vorhersage, sondern dass wir als Gesellschaft auf ein solches Ereignis überhaupt nicht vorbereitet wären. Denn es geht nicht um den Strom- sondern um einen dadurch ausgelösten weitreichenden Versorgungsausfall in allen Lebensbereichen.”
Kann die Corona-Situation ein solches Szenario beschleunigen, etwa weil der Stromverbrauch steigt, nachdem sich die Menschen mehr zuhause aufhalten?
“Dafür wird in den Betrieben weniger verbraucht. Aus dieser Sicht nicht wirklich und so massive Unterschiede sind nicht zu erwarten. Schlimmer wäre, wenn viele Menschen zeitgleich erkranken und die Versorgungslogistik auseinanderbrechen würde. Die sehr rasche Ausbreitung der neuen Omikron-Variante könnte zu einer massiven Erkrankungs- und/oder Quarantänewelle führen könnte. Damit könnten Lieferketten unterbrochen und schwerwiegende Versorgungsengpässe auftreten, bis hin zum Ausfall wichtiger Einrichtungen.”
Welche Rolle spielen erneuerbare Energien bei einem drohenden Kollaps im Stromsystem?
“Eine indirekte. Das Problem sind nicht die Erneuerbaren, sondern eine unzureichende Regulierung, die vor allem in Deutschland nur den Ausbau von Erzeugungsanalgen forciert, aber nicht die notwendigen Speichersysteme, um die permanente Balance aufrechterhalten zu können. Durch die Kraftwerksabschaltungen stehen gleichzeitig immer weniger andere Systeme zur Verfügung, um die schwankende Produktion aus Wind und Sonne ausgleichen zu können. Und die kann man auch meist nicht einfach per Knopfdruck einschalten, wenn man sie gerade wieder mal kurzfristig benötigt. Es geht auch nicht nur um ein paar Hausspeicher, sondern Dimensionen, die mit den heutigen technischen und finanziellen Möglichkeiten nicht realisierbar sind.”
Bei einem Blackout wären gleich mehrere europäische Länder betroffen – In Österreich könnte er glimpflicher ablaufen als in Deutschland, warum?
“Genau! Die österreichische E-Wirtschaft ist gut vorbereitet und wir haben durch unsere Wasserkraft einen enormen Vorteil gegenüber Deutschland. Wir habe zumindest eine theoretische Speicherkapazität von 3.300 GWh. In ganz Deutschland stehen nur rund 40 GWh Pumpspeicherkapazität zur Verfügung. Daher ist auch damit zu rechnen, dass bei einem europaweiten Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall (“Blackout”) die Stromversorgung in Österreich nach rund einem Tag wieder halbwegs funktionieren sollte. In Teilen auch früher. Aber bis das restliche System wieder funktioniert, wird rund eine Woche erwartet. Auch für Deutschland. Damit funktionieren so gut wie keine Produktion und Logistik, also Warenverteilung, bis wieder überall eine Produktion möglich ist. Und diese funktioniert auch nicht, wenn der Strom wieder da ist. Erst, wenn nach mehreren Tagen nach dem Stromausfall die Telekommunikationsversorgung, also Handy, Festnetz und Internet wieder funktionieren, kann damit wieder begonnen werden.”
Die österreichische Regierung ist mit dem Thema massiv an die Öffentlichkeit gegangen, wie beobachten Sie die Aufklärung in anderen Ländern? In Deutschland – so zumindest der Eindruck – wird das Thema nur zurückhaltend kommuniziert.
“Wir sind in Österreich was die Risikokommunikation und die Aktivitäten auf unterschiedlichen Ebenen betrifft, sicher Vorreiter. Aber mir fehlt die klare und unverzichtbare Einbindung der Eigenvorsorge in der Bevölkerung. Denn niemand kann Millionen Menschen helfen, wenn nichts mehr funktioniert. Daher bin ich auch manchmal etwas überkritisch. Aber ich beschäftige mich seit 10 Jahren mit diesem Thema und sehe Tag ein, Tag aus, wie die Realität in den unterschiedlichen Organisationen und Unternehmen wirklich aussieht. Und das sind noch jene, die schon damit begonnen haben. In vielen anderen ist das noch nicht einmal ein Thema. Und aus der systemischen Sicht versteht man das Detail nur dann, wenn man das Ganze kennt und nicht umgekehrt.”
Auf dem Streamingportal „joyn“ ist jetzt der Beststeller „Blackout“ als Serie verfügbar. Haben Sie die Serie zufällig gesehen? Wie realistisch wird ein Blackout dort aus ihrer Sicht dargestellt?
“Nein, aber ich kenne das Buch und Marc Elsberg sehr gut und wir tauschen uns auch immer wieder aus. Das Buch ist sehr realistisch, sieht man von der begleitenden Story ab. Und was ich gehört habe, soll die Serie auch gut gemacht worden sein.”
In der Serie wird auch thematisiert, dass die Kühlung von Atomreaktoren durch einen längeren Blackout problematisch wird – ist das ein realistisches Szenario?
Leider ja. Grundsätzlich sind Atomkraftwerke mehrfach mit Notstromeinrichtungen abgesichert. Aber das Risiko für einen Zwischenfall steigt in einem solchen Fall sicher.
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