
Industrieller Aderlass: Deutschlands Fabriken streichen über 100.000 Stellen
Die Krise in der deutschen Industrie nimmt weiter an Schärfe zu: Binnen eines Jahres sind in der deutschen Fertigung mehr als 100.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Besonders die Autohersteller trifft es mit voller Wucht. Eine Wende ist nicht in Sicht – im Gegenteil: Experten rechnen mit weiteren Entlassungswellen bis Jahresende.
Die neuen Zahlen stammen aus einer Untersuchung der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft EY, die auf Daten des Statistischen Bundesamts basiert. Demnach sank die Beschäftigung in der Industrie im Vergleich zum Vorjahr um 1,8 % auf rund 5,46 Millionen Menschen. Allein in der Autobranche wurden rund 45.400 Stellen gestrichen – ein Rückgang um fast sechs Prozent.
Auch andere Sektoren wie die Metallerzeugung und die Textilindustrie verloren deutlich – jeweils über vier Prozent der Arbeitsplätze gingen verloren. Nur die Chemie- und Pharmabranche blieb mit einem Rückgang von 0,3 % relativ stabil.
Unvorteilhafte Rahmenbedingungen setzen den Unternehmen zu
Die Ursachen sind vielfältig: Hohe Energiepreise, gestiegene Löhne, eine schleppende Nachfrage im In- und Ausland und übermächtige Wettbewerber aus Fernost setzen den Unternehmen zu.
Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen sehen sich kaum noch in der Lage, mit den widrigen Standortbedingungen in Deutschland Schritt zu halten.
Keine Entwarnung – weitere 70.000 Stellen in Gefahr
Die Prognose für die kommenden Monate bleibt düster. Laut EY ist bis zum Jahresende mit dem Abbau von weiteren 70.000 Industriearbeitsplätzen zu rechnen – besonders betroffen: Maschinenbau und Automobilbranche. „Wir werden vorerst noch viele schlechte Nachrichten hören, bevor es wieder aufwärtsgeht“, sagt Jan Brorhilker, Managing Partner bei EY gegenüber dem Handelsblatt.
Industrie am Scheideweg: VDA fordert Umdenken
Das Vertrauen in die Widerstandskraft des Standorts schwindet zunehmend. Der Begriff der „Deindustrialisierung“ macht die Runde.
Auch der Verband der Automobilindustrie schlägt Alarm. VDA-Präsidentin Hildegard Müller fordert im Gespräch mit dem Handelsblatt ein radikales Umdenken in der Politik: „Wettbewerbsfähigkeit und Standortattraktivität müssen deshalb Leitmotiv der neuen Bundesregierung sein. Denn Fakt ist: Diese Faktoren entscheiden darüber, wo und in welchem Umfang investiert wird – und somit auch darüber, wo entsprechende zukünftige Arbeitsplätze entstehen.“
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