Bernard Haitink: Der Star-Dirigent, der nie ein Star sein wollte, starb mit 92
In den 1950er Jahren, als Herbert von Karajan gerade der Superstar am Dirigentenpult war, startete die Karriere des Niederländers. Haitink leitete die großen Orchester der Welt und dirigierte mehr als 100 Mal die Wiener Philharmoniker, deren Ehrenmitglied er seit 2019 war.
“Wie wird es sein, wenn ich aufhöre?” – Diese Frage hatte sich Bernard Haitink kurz vor seinem 90. Geburtstag gestellt. Wenige Monate später beendete einer der weltweit gefragtesten und renommiertesten Dirigenten dann offiziell seine Karriere. Nun ist der Niederländer Haitink, der seit 1972 mehr als 100 mal die Wiener Philharmoniker dirigiert hatte und 2019 zu deren Ehrenmitglied ernannt wurde, im Alter von 92 Jahren gestorben.
Früher Karrierestart: "Was für ein Baby"
1956 stand der Niederländer zum ersten Mal vor dem ehrwürdigen königlichen Orchester im Concertgebouw, dem er mehr als 60 Jahre lang eng verbunden war. Er war 27 Jahre alt und kurzfristig eingesprungen. Er war so jung, dass – so wird bis heute erzählt – eine Frau im Publikum gezischt haben soll: “Was für ein Baby”. Immerhin machte das “Baby” einen solchen Eindruck, dass Haitink nur fünf Jahre später zum Chefdirigenten des Orchesters ernannt wurde.
“Es war die Hölle”, sollte Haitink später sagen. Der junge Dirigent musste sich gegen eine verkrustete Struktur und nicht sehr flexible ältere Musiker durchsetzen. Schließlich sollte er aber fast drei Jahrzehnte lang Chef in Amsterdam sein.
"Ich bin ein bisschen schüchtern"
Haitink wollte nie ein Superstar am Pult sein. Ein Orchester müsse man motivieren und inspirieren, lautete sein Motto. Er ist kein Halbgott im Frack, und eine lange, weiße, wehende Künstlermähne pflegte er auch nie. Vielleicht kann man ihn am besten als Star-Dirigenten ohne Allüren beschreiben. “Ich bin ein bisschen schüchtern”, beschrieb er sich einmal selbst.
Seine Unsicherheit war fast schon berühmt. Es war auch ein Arbeitsprinzip. Er ging nicht als Allwissender an ein Stück heran, nicht als einer, der das alles schon zig mal gemacht hat. “Dirigieren darf nicht zu einfach werden.” Haitink erarbeitete sich ein Stück immer wieder neu. Auch wenn es um seine Lieblingskomponisten wie Bruckner, Mahler, Brahms oder Schostakowitsch ging. Er verband Intellekt und Gefühl auf ganz eigene Weise. “Man muss denken mit dem Herzen und fühlen mit dem Kopf”, sagte er einmal dem NRC Handelsblad.
Bereits als Kind von Gustav Mahler angezogen
Haitink wuchs in Amsterdam mit der Musik von Mahler und Bruckner auf. Bruckners siebte Symphonie etwa hörte er erstmals als Kind, erinnerte er sich. “Vielleicht ist es abnormal, dass ein achtjähriges Kind so sehr von einem langen Stück angezogen wird, aber so war es.” Die Leidenschaft sollte ihn nicht verlassen.
Nachdem er Amsterdam 1988 verlassen hatte, leitete Haitink 14 Jahre lang die Royal Opera in London. Er war musikalischer Leiter des Opernfestivals in Glyndebourne, Chefdirigent des London Philharmonic Orchestra, der Staatskapelle Dresden und des Chicago Symphony Orchestra. Neben den Wiener Philharmonikern war er auch Ehrenmitglied der Berliner Philharmoniker oder des Chamber Orchestra of Europe. Zahllos waren seine Gastauftritte bei den führenden Orchestern der Welt. (APA/Red)
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