„Der dakische Helm wird den nächsten Präsidenten Rumäniens machen,“ schreibt der rumänische Schriftsteller Vasile Ernu in der Bukarester Tageszeitung „Libertatea“. Er erklärt weiter, dass das Artefakt eine starke Rolle als imaginäre Ikone spielt. “Der obere, halbkugelförmige Helmteil ist mit einer regelmäßigen buckelartigen Verzierung versehen. Über dem Gesicht ist eine Darstellung von zwei Augen mit Augenbrauen ausgearbeitet. An den Wangenschilden und dem Nackenschutz sind figürliche Darstellungen angebracht” kann man aus Wikipedia erfahren. Diese dakische Ikone – der Helm – sei tief mit der historischen Identität und Legitimität des rumänischen Volkes verknüpft, so Ernu. In Rumänien wird der Diebstahl daher nicht nur als krimineller Akt, sondern als potenzielles Wahlkampfthema betrachtet – insbesondere in Hinblick auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen am 4ten Mai 2025, die im Dezember des Vorjahres abgesagt wurden.

Die orthodoxe Mehrheit des Landes wird mitten im Wahlkampf das Osterfest feiern. Die Kirchen werden, wie jedes Jahr, überfüllt sein – ein Umfeld, in dem politische Botschaften, etwa für den Frieden in der Welt, legitim erscheinen. Eine Rhetorik, die dem unabhängigen Präsidentschaftskandidaten Călin Georgescu, geb. 1962, entgegenkommen könnte. Georgescu, der als TikTok-Phänomen mit angeblich null Wahlkampfausgaben weltweit für Schlagzeilen sorgte, ist bekannt für seine Aussagen als “Versteher” des russischen Präsidenten Wladimir Putin und seiner anti-westlichen Rethorik. Voraussetzung für seine Kandidatur bleibt jedoch, dass ihm eine erneute Teilnahme nicht verwehrt wird – ein in demokratischen Systemen selbstverständlicher Grundsatz.

TikTok als Wahlkampfmittel: Der Siegeszug der „Curățenie Generală“

Georgescus bedächtiger Ton, seine häufigen Anspielungen auf „Geheimnisse“ und sein messianisch anmutender Diskurs sind für viele Rumänen leicht verständlich. Seine Sprache wird von seinen Anhängern fast wie ein Evangelium aufgenommen – und sein Bekanntheitsgrad wächst stetig.

Martin Luther forderte einst: „Ihr müsst dem Volk aufs Maul schauen.“ Genau dies scheint Georgescu zu tun. Er bevormundet oft und stilisiert sich zum Apostel des Volkes, was ihn in den Augen vieler Rumänen als Anti-Politiker erscheinen lässt – und unerwartet gut die Rachegelüste der Enttäuschten bedient. 

Noch lange vor den Osterputz kursierte auf TikTok ein Video mit der Botschaft: „Wir müssen keinen Kandidatennamen posten, wir wählen sowieso ‚Curățenie Generală‘ – ihr wisst, was ich meine, oder?“ Das Video sammelte im Jänner 23.000 Likes und 2.200 Kommentare, wie der Bukarester Nachrichtensender Digi24 berichtete.

Der Hashtag „Curățenie Generală“ (dt. „Allgemeine Reinigung“) verbreitete sich rasant auf TikTok und wurde von Georgescus Unterstützern massiv genutzt. Analysen von Digi24 zeigen, dass die Anzahl der mit diesem Hashtag veröffentlichten Videos im Januar 2025 erheblich zunahm, besonders nachdem die rumänische Regierung neue Regeln für digitale Wahlwerbung erlassen hatte. Interessanterweise werben auch Reinigungsunternehmen unter diesem Hashtag – doch für Georgescus Anhänger steht es in erster Linie als Anspielung auf seine Initialen C.G., die er bereits in seiner Wahlkampagne auch mit dem Slogan „#CG11“ verwendet hatte.

Souveränismus als politische Marke?

Viele politische Analysten betrachten Georgescus Auftreten als eine neue Form des „rumänischen Souveränismus“ – einer Bewegung, die sich als Gegenstück zur Globalisierung positioniert. Der Schriftsteller, Journalist und Wahlkampfberater Marius Ghilezan, gerngesehener Gast in rumänischen TV-Talkshows, beschreibt diesen Trend als eine Art „Renaissance-Ästhetik“, die ihn an einen Song von Taylor Swift erinnert.

„Seien wir ehrlich. Die Menschen unterscheiden kaum zwischen Populismus und Souveränismus. Nicht einmal zwischen den vermeintlichen Unterschieden zwischen links und rechts,“ sagte Ghilezan gegenüber dem Nachrichtenportal exxpress. „Souveränismus ist nichts anderes als eine vulgäre Antithese zur Globalisierung. Da die Diener dieser Haltung einen Namen brauchten, wurden sie einfach ‚Souveränisten‘ genannt.“

Ghilezan erklärte weiter, dass etwa 40 % der Rumänen keine weiteren Unterstützungsgelder für die Ukraine befürworten würden. „Georgescu wusste, wie man sich nicht nur in den Köpfen, sondern auch in den Herzen der Rumänen verankert. Hier liegt sein Schlüssel zum Erfolg.“

Doch wie souveränistisch ist die von Georgescu vertretene Mischung aus Illiberalismus und Mystizismus wirklich? “In Rankings gelten die Rumänen als eine der loyalsten EU- und NATO-Mitgliedsnationen. Gleichzeitig sind sie jedoch tief religiös und traditionsbewusst – genau hier trifft Georgescus Botschaft ins Schwarze. Die Menschen fühlen sich von ihm verstanden und unterstützt, so Ghilezan.

Zwischen westlichen Idealen und nationaler Identität

Rumäniens rechtskonservative Parteien, die mehr als ein Drittel des Parlaments kontrollieren, setzen verstärkt auf das Thema nationale Souveränität. Ähnlich wie die FPÖ in Österreich, der Rassemblement National in Frankreich oder die AfD in Deutschland, versuchen sie, durch eine Abkehr von globalistischen Narrativen Wählerstimmen zu gewinnen.

Währenddessen erleben viele der fast sechs Millionen Rumänen in der Diaspora die westliche Welt als fremd und ringen mit Heimweh – ein Gefühl, das sich zunehmend in einer kritischen Haltung gegenüber dem politischen Establishment ihrer Heimat niederschlägt. Paradoxerweise werden sie dort oft als Vorbilder gefeiert und genießen ein wachsendes soziales Prestige. Ihre Unterstützung für Vertreter des Souveränismus, wie Călin Georgescu oder George Simion, den Vorsitzenden der zweitstärksten Parlamentspartei AUR bei den vergangenen Wahlen 2024, könnte erneut zu einem entscheidenden Faktor für den Ausgang der bevorstehenden Wahl werden.

„Da uns diese Geheimnisse übersteigen, tun wir so, als wären wir ihre Organisatoren.“

Mit diesem Zitat des französischen Schriftstellers und Malers Jean Cocteau lässt sich die gegenwärtige politische Dynamik in Rumänien treffend beschreiben. Zwischen einem mystischen emotionsgeladenen Narrativ um ein gestohlenes Artefakt, einem charismatischen TikTok-Kandidaten und einer fragmentierten politischen Landschaft steuert Rumänien erneut auf eine Wahl zu, die mehr Fragen als Antworten aufwirft. Und das immerhin stabile Image des Wirtschaftsstandorts gerät dadurch auch ins Wanken.

Laut einer Umfrage des Center for International Research and Analyses (CIRA) im Auftrag der Bukarester Tageszeitung EVZ glauben 71 % der über 18-Jährigen, dass Rumänien in die falsche Richtung steuert, während nur 23 % die Entwicklung positiv sehen. Der weitverbreitete Pessimismus deutet auf ein tiefes Misstrauen in die politische Führung und ein Gefühl der Stagnation hin. (Fehlermarge: +/- 3,2 %, Erhebungszeitraum: 18.01. – 22.01.2025)

Ist die Wiederholung der Präsidialwahlen im Mai 2025 also ein Anlass zum Fremdschämen – ein Beleg für politische Unreife – oder stehen die Rumänen vielmehr an der Schwelle einer neuen Ära, in der sich alte Mythen und moderne Medien als vielstimmiges Echo des souveränen Volkes vermengen und eine unvermeidlich explosive, vielleicht aber auch richtungsweisende Mischung formen?

Dr. Alex Todericiu, geb. 1967 in Bukarest, ist ein österreichischer Unternehmensberater