Ein frostiger Schatten liegt über dem Land und der Name Călin Georgescu hallt wie ein Mahnruf durch die rumänische Gesellschaft. Dieser 62-jährige Mann, bis vor Kurzem in seiner Heimat noch weitgehend unbekannt, hat mit einem christlich-apologetischen Diskurs und Anklängen an verschiedenste Verschwörungstheorien eine wachsende Anhängerschaft gewonnen und den ersten großen Schritt auf die politische Bühne gewagt. Doch bevor er seinen für viele unerwarteten Triumph auskosten konnte, traf das Urteil des Verfassungsgerichts in Bukarest wie ein Blitzschlag: Die gesamte Präsidentschaftswahl wurde am vergangenen Freitag, 06.12.2024 für ungültig erklärt – mitten im laufenden Wahlprozess, was in der EU bisher einmalig ist. Die Wiederholung der Wahl mit neuen Kandidaten ist für 2025 geplant. Ein genaues Datum ist noch nicht bekannt, vermutlich wird sie zu Ostern stattfinden.

Auf den Straßen wird so viel über Politik diskutiert wie nie zuvor. Es gibt Stimmen, die es für absolut nachvollziehbar und richtig halten, dass der Urnengang annulliert und neue Wahlen angesetzt wurden. Andere betrachten den einstimmigen Beschluss aller 9 – von verschiedenen Parteien vorgeschlagenen – Richter des Verfassungsgerichts als massive Einmischung in den demokratischen Wahlprozess. Rumänien erscheint heute wie ein Land im Schwebezustand eines tristen Märchens, fifty-fifty gespalten zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Georgescus Aufstieg, befeuert durch soziale Medien wie TikTok, wirft ein grelles Licht auf die Bruchlinien der Gesellschaft und die Spannungen sowohl innerhalb des Landes als auch in seiner weitverzweigten Diaspora. In Österreich sind die mehr als 150.000 rumänischen Staatsbürger heute die zweitgrößte Volksgruppe ausländischer Staatsangehöriger – hinter den Deutschen, aber noch vor den Türken. Ihr Durchschnittsalter liegt laut statistischem Amt bei gerade einmal 31,4 Jahren. Hinzu kommen etwa 60.000 Österreicher mit rumänischem Migrationshintergrund. Und in Wien haben die Rumänen in den letzten Tagen schon lautstark vor ihrer Botschaft protestiert.

Georgescu, welcher mehrere Jahre in Wien und Niederösterreich gelebt hat, bekannt auch als „Friedensapostel“ (weil er wiederholt für einen raschen Frieden im Osten plädiert), ist ein Verehrer des Diktators Wladimir Putin sowie des neuen US-Präsidenten Donald Trump. Für viele Rumänen ist er nichts weniger als der Märchenheld, der gegen eine übermächtige, „böse“ Staatsautorität kämpft. So erzeugt er Mitleid, Angst oder auch Wut. Rationales Nachdenken wird durch emotionale Überwältigung in den Hintergrund gedrängt. Georgescu und seine Anhängerschaft sprechen seit etwa einer Woche von einem sogenannten „Staatsstreich“ und säen so noch mehr Zweifel in ein ohnehin fruchtbares Feld des Misstrauens. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts ist unanfechtbar, wirft jedoch mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Sie wird durch offiziell veröffentlichte Geheimdienstberichte begründet, die Unregelmäßigkeiten aufzeigen – darunter eine Flut von TikTok-Videos, die Georgescu, unter Verdacht ausländischer Einflussnahme, glorifizierten. Es wäre hilfreich gewesen, wenn das Verfassungsgericht genauer darauf eingegangen wäre, wie „staatliche oder neostaatliche Einheiten“ (damit wird die finanzielle und materielle Unterstützung Russlands für den Kandidaten Georgescu gemeint) die Beeinflussung des Wahlprozesses verursacht haben.

Rumäniens Politik ist heute wie so ein Wintermärchen über Ende und Neustart

Wollte man ein Wintermärchen verfilmen, wäre Siebenbürgen dafür eine geradezu ideale Gegend. Rumäniens Politik ist heute wie so ein Wintermärchen über Ende und Neustart und erinnert an das satirische Epos des deutschen Dichters Heinrich Heine (1797–1856) – im Sinne der manipulativen Absicht, die so rasch und erstaunlich in diesem EU-Land entstanden ist, anstatt einfach mehr Vernunft, Transparenz und soziales Vertrauen in die Demokratie zu fördern.

Die Vereinnahmung der Begriffe Souveränität und Patriotismus und deren Verdrehung in Richtung Isolationismus stellen eine immense Gefahr dar, erklärte die Rumänische Akademie in einem am ersten Tag der Stichwahl an die Öffentlichkeit gerichteten Appell. Die Bürger, längst enttäuscht von einem als abgehoben empfundenen politischen System in Bukarest, fühlen sich durch die behördliche Wahlabsage in ihrer Ohnmacht bestätigt. Warum noch wählen gehen, wenn ihre Stimmen so leicht für bedeutungslos erklärt werden können, fragen sich viele.

Der wahrscheinliche Ausschluss von Georgescu von einer erneuten Kandidatur aufgrund eines möglichen Wahlbetrugs durch die Verletzung der Vorschriften zur Wahlkampffinanzierung im ersten Wahlgang der annullierten Präsidentschaftswahlen ist eine Arbeitshypothese rumänischer Medien. Derjenige, der im nächsten Jahr viele der über 2 Millionen Stimmen, die Georgescu im ersten Wahlgang erhalten hat, wahrscheinlich für sich nutzen könnte, ist der 38-jährige George Simion, der Vorsitzende der rechten Partei AUR, ein Kenner der rumänischen Geschichte und leidenschaftlicher Bewahrer nationaler Identität. AUR dominiert das souveränistische Spektrum und stellt, gemeinsam mit anderen zwei Splittergruppen, mehr als 30 % des Parlaments in Bukarest. Dort werden nun neue Kandidaten für die zukünftigen Präsidentschaftswahlen gesucht. Die am 1. Dezember 2024 neu gewählte proeuropäische Parlamentsmehrheit will rasch einen gemeinsamen Vorschlag unterbreiten. Es kursieren unterschiedliche Namenslisten, doch einige der darin genannten Persönlichkeiten beeilen sich bereits, ihre Bereitschaft zur Mitwirkung entschieden von sich zu weisen. Laut rumänischer Presse wird derzeit auch versucht, eine breite Links-Rechts-Koalitionsregierung aus 4 Parteien unter dem Vorsitz der Sozialdemokraten der PSD zu bilden – ein kompliziertes Novum.

Was das Land jetzt wirklich braucht ist sofort eine neue Regierung, gebildet aus Politiker verschiedener Parteien oder auch aus anerkannten Fachleuten aus technokratischen Kreisen im In- und Ausland (Diaspora), die miteinander, durch gemeinsames Handeln und auf Augenhöhe den emotionsgeladenen patriotischen Stolz des souveränen Volkes ansprechen und zugleich die wohlstandschaffende Zugehörigkeit zur EU und die Sicherheit Rumäniens als NATO-Bündnisland immer wieder betonen.

Dr. Alex Todericiu, geb. 1967 in Bukarest, ist ein österreichischer Unternehmensberater