
14 Millionen Deutsche auf der Flucht – und niemand spricht darüber
Heute stehen Flüchtlinge im Fokus – doch eine der größten Fluchtbewegungen Europas ist fast vergessen: 14 Millionen Deutsche wurden nach 1945 vertrieben. Auf exxpressTV erzählt Autor Christoph Bathelt, wie sein Vater als Bub alles verlor – und dennoch nie verbitterte. Diese Geschichte hat Bathelt nun in einer eindrucksvollen Graphic Novel festgehalten.

Für Heinz H. Bathelt – den Vater von Christoph Bathelt – beginnt im Jänner 1945 eine Odyssee: Gemeinsam mit Mutter, Schwester und zwei Großmüttern flieht der sechsjährige Bub aus dem schlesischen Bielitz. Nach dem Kriegsende kehrt die Familie kurz zurück – doch ihre Heimat gehört nun zur Volksrepublik Polen. Sie sind rechtlos, leben von Spenden und hoffen auf ein neues Leben in Österreich.
Suppenkübel mit Maden – Willkommen in Wien
Die zweite Flucht führt über Bratislava und Gänserndorf nach Wien – ohne gültige Papiere. „Mein Vater musste mit einer großen Milchkanne Suppe holen – oben schwammen Maden“, erzählt Christoph Bathelt im Interview mit Stefan Beig. „Das wurde abgeschöpft, noch einmal abgekocht – und davon haben sie sich ernährt.“ Der Vater war stark unterernährt und musste später zur Erholung vom Roten Kreuz betreut werden.

Immer der Deutsche – auch Jahrzehnte später
Trotz aller Entbehrungen und Ausgrenzung: Bathelts Vater klagte nie. „Er hat nie ein schlechtes Wort über Polen oder Russen verloren. Er war gutmütig, großzügig – ein bewundernswerter Mensch.“ Studieren konnte er nicht – mit 16 musste er eine Lehre machen, um die Familie zu ernähren. Doch das Gefühl, nicht dazuzugehören, blieb: In Österreich galt er als Deutscher, in Deutschland als Österreicher. „Diese stille Ausgrenzung hat ihn ein Leben lang begleitet.“
Ein vergessenes Kapitel – endlich erzählt
Mit der Graphic Novel „Die Heimat in der Schultasche“, erschienen im Neue Welt Verlag, hat Christoph Bathelt die Geschichte seines Vaters einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Es geht dabei nicht um Anklage, sondern um Menschlichkeit, Erinnerung und Verständnis. Selbst Verleger Birol Kiliç, ein Austro-Türke, zeigte sich tief bewegt: „Ich wusste nichts über dieses Kapitel – das hat mir die Augen geöffnet.“

Dialog statt Verdrängung
Bathelt will nicht nur erinnern, sondern auch Brücken schlagen. „Wenn wir Neubürgern zeigen, wie unsere Gesellschaft entstanden ist, schaffen wir neues Verständnis.“ Die Geschichte seines Vaters zeigt: Nicht alle, die nach 1945 flüchteten, waren Täter – viele wurden heimatlose Opfer, deren Leid jahrzehntelang verschwiegen wurde.
Heinz H. Bathelt u. Klára Štefanovičová
Die Heimat in der Schultasche
Geschichte einer Flucht
ISBN 978-3-9505287-0-1
32 Seiten, brosch.
Neue Welt Verlag, 2023
€ 19,90
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