Kopftuch, Snacks ohne Schwein & eine Gebetsecke: Dieses Fitnessstudio ist halal!
In einem unscheinbaren Gewerbehaus in Dietikon (Zürich) entsteht derzeit eines der meistdiskutierten Fitnesscenter der Schweiz – das „954 Studio“. Der Grund: Hier soll künftig halal, also Koran-konform, trainiert werden.
Im „954 Studio“ in Dietikon kann künftig halal trainiert werden – mit Gebetsecke und getrennten Trainingszeiten. (Symbolbild)GETTYIMAGES/gorodenkoff
Das Konzept ist klar definiert: Männer und Frauen trainieren zu unterschiedlichen Zeiten, eine Gebetsecke gehört ebenso dazu wie Snacks ohne Schweinefleisch. Kopftücher sind ausdrücklich erlaubt. Der Name verweist auf den vierten Vers der 95. Sure im Koran: „Wahrlich, wir haben den Menschen in bester Form erschaffen.“ Diese „beste Form“ soll hier nicht nur körperlich, sondern auch spirituell erreicht werden.
Ein Fitnesscenter als Symbol
Auf Social Media präsentieren die drei Gründer – die Brüder Emre, Tolga und Berke Argön – ihr Projekt als Lifestyle-Mission. Auf TikTok sind Videos zu sehen, in denen junge Frauen mit Kopftuch trainieren. Eine Stimme aus dem Off sagt: „Ich mache Sport. Nicht um zu gefallen, sondern um zu danken. Denn mein Körper ist ein Geschenk.“ Das Motto lautet: nicht möglichst viele, sondern „die richtigen“ Kunden – Menschen, die Diskretion, Spiritualität und Fitness verbinden wollen.
Während viele das Projekt als Zeichen von Vielfalt feiern, sehen andere darin eine Form von religiöser Sonderbehandlung. Die Junge SVP Zürich kündigte sogar eine Protestaktion an: Am Bahnhof Dietikon will sie „Cervelats (traditionelle Schweizer Bratwürste) verteilen – als Zeichen für Schweizer Kultur und gegen religiöse Extrawürste“.
Bauamt stoppt Eröffnung
Noch bevor die erste Hantel bewegt wurde, griff das Bauamt ein. Die für Oktober geplante Eröffnung wurde gestoppt. Laut Stadt Dietikon handle es sich bei der Immobilie um ein Büro- und Gewerbehaus, eine Umnutzung zu einem Fitnesscenter sei bewilligungspflichtig. „Bis zum heutigen Tag liegt kein Baugesuch mit geplantem Betriebskonzept vor“, teilte das Amt mit.
Die Betreiber widersprechen und verweisen auf ihren Vermieter, der „noch einige formale Unterlagen nachreichen“ müsse. Doch es dürfte dauern: Die Bearbeitung eines Baugesuchs zieht sich in der Regel über vier bis fünf Monate. Emre Argön erklärte, man rechne mit einer Verzögerung „von Wochen oder Monaten“ – genau wisse man es nicht.
Religion, Markt und Identität
Während die Bürokratie ihren Lauf nimmt, wird über die gesellschaftliche Bedeutung des Projekts debattiert. Amir Dziri, Professor am Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft, sieht im „954 Studio“ die „Kapitalisierung eines religiösen Gefühls“. Religion werde hier auch als Geschäftsmodell verstanden. „Ich denke, man widerspricht dem Koran nicht, wenn man in ein normales Fitnesscenter geht. Die meisten Muslime finden diese nicht problematisch,“ sagt Dziri.
Das spezielle Angebot entspreche eher der Marktlogik. Der wachsende Anteil muslimischer Bevölkerung – heute rund sechs Prozent – mache sie zu einer interessanten Zielgruppe. In England gebe es schon seit Jahren halal Fitnessstudios, auch andere Branchen reagierten längst auf die religiösen Bedürfnisse einer globalen Kundschaft.
Ein wachsender Trend: „Halalisierung“ des Alltags
Der Begriff „Halalisierung“ beschreibt die zunehmende Präsenz religiöser Regeln im Alltag. In der Schweiz zeigt sich das etwa bei der Dating-App „Muzz“, die sich gezielt an Muslime richtet, oder im Tourismus: In Interlaken oder im „Bellevue au Lac“ am Thunersee werden kein Alkohol und kein Schweinefleisch mehr serviert, Gebetsräume gehören zum Angebot. Das Hotel gehört seit Kurzem Investoren aus Abu Dhabi.
Das „954 Studio“ reiht sich also in eine globale Entwicklung ein, die Religion, Lifestyle und Konsum miteinander verbindet – und damit zugleich die Grenzen zwischen Spiritualität und Geschäft verwischt.
Zwischen Bauvorschrift und Kulturkampf
Die Geschichte des „954 Studio“ ist damit weit mehr als ein lokaler Streit über fehlende Bewilligungen. Sie zeigt, wie sensibel das Thema Religion im öffentlichen Raum in der Schweiz bleibt. Während die Betreiber ihr Studio als Ausdruck persönlicher Dankbarkeit verstehen, fürchten Kritiker eine zunehmende Abspaltung von der Mehrheitsgesellschaft.
Fest steht: Das Fitnesscenter hat noch gar nicht eröffnet – und ist doch schon in aller Munde. Ob als Symbol für Diversität, als Ausdruck einer gesellschaftlichen Spaltung oder schlicht als geschicktes Marketingprojekt – das „954 Studio“ steht im Zentrum einer Debatte über das Verhältnis von Glaube, Kommerz und öffentlichem Raum.
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