In einem YouTube-Video ruft der Wiener Psychiater und Buchautor Raphael Bonelli zum Tabubruch auf. „Wir haben so viele unnötige und überflüssige Tabus, dass wir sie jetzt brechen müssen.“ Genauso wie Sigmund Freud einst die Sexualität enttabuisierte, müsse man heute endlich „sagen, was wir denken, und diese vielen Denkverbote angehen.“ Die wachsende Zahl an Denkverboten sei nicht nur für den Einzelnen schädlich, sondern verhindere auch gesellschaftliche Problemlösungen.

Sinnvolle und schädliche Tabus

Natürlich gebe es sinnvolle Tabus, etwa das Verbot von Tötung, Ehebruch oder Inzest. Manche seien sogar natürlich, etwa im Zusammenhang mit besonders schweren Verbrechen, wie dem Holocaust, dem nationalsozialistischen Völkermord an den europäischen Juden.

Doch viele Tabus seien überflüssig. „Ob ich jetzt noch ‚Eskimo‘ sagen darf oder nicht – das braucht keiner.“ Gleiches gelte für „Blackfacing“ oder das Tabu, Geschlechtsunterschiede zu thematisieren. „Wer kritisch über die Klimabewegung nachdenkt, ist gleich ein ‚Klimaleugner‘. Und über ‚Massenmigration‘ dürfen wir überhaupt nicht nachdenken.“

Ein Vergleich zur viktorianischen Zeit

Bonelli zieht einen drastischen Vergleich: „Wenn heute jemand das N-Wort verwendet, geschieht dasselbe, wie wenn jemand in den 1870er- und 1880er-Jahren in eleganter Gesellschaft ‚Penis! Vagina!‘ gerufen hätte. Die Empörung wäre damals genauso groß gewesen wie heute.“

Wenn Tabus helfen – ein kurioses Beispiel

Tabus könnten in Einzelfällen auch unerwartete Folgen haben. Bonelli berichtet von einem spielsüchtigen Patienten, der sich nicht von einer Online-Spielplattform lösen konnte – bis er dort das N-Wort schrieb. „Er wurde sofort und permanent gesperrt – und war damit schlagartig von seiner Sucht befreit.“

Cancel Culture als Tabu-Verstärker

Sogar das Wort „normal“ werde zunehmend tabuisiert. Die Bezeichnung „Normalbevölkerung“ gelte bereits als „präfaschistoid“. Solche Tabus setzten sich durch die Mechanismen der Cancel Culture durch. „Wer ein Tabu bricht, wird mit einem Shitstorm überzogen, ausgegrenzt und ‚gecancelt‘, sodass jeder weiß: ‚Okay, das darf ich nicht machen.‘“

Tabus blockieren Lösungen

Das Hauptproblem: „Das Wesentliche am Tabu ist, dass es unaussprechlich ist.“ Doch genau das verhindere die Lösung von Problemen. „Der Mensch ist ein vernünftiges Wesen und kann Probleme nur lösen, wenn er über sie nachdenkt. Ein Tabu verhindert das Nachdenken – und damit auch die Lösung!“

„Wir wollen nachdenken können“

Zwar habe er sich selbst bisher nicht intensiv mit Massenmigration befasst, räumt Bonelli ein, doch es müsse möglich sein, offen darüber zu sprechen: „Wir wollen darüber nachdenken können, wie Europa in 50 Jahren aussieht.“

Das System wankt

Doch Bonelli sieht Anzeichen für einen Wandel: „Dieses System fällt jetzt. Wir halten das nicht durch. Das ist nicht menschengemäß. Die normalen Bürger haben langsam genug.“

Die 68er und die neuen Denkverbote

Nicht jedes Tabu sei per se falsch. Die 68er-Bewegung habe versucht, die damals wenigen, teils natürlichen Tabus zu brechen, um eine tabulose Gesellschaft zu schaffen. „Das war nicht richtig, denn manche Tabus sind sinnvoll.“ Doch mittlerweile hätten sich in der Folge zahlreiche neue Denkverbote entwickelt – mit der Konsequenz, dass wir heute „kognitiv viel unfreier sind als in den 1950er- oder 1960er-Jahren.“

Ein Buch über die neuen Denkverbote

Deshalb sei es an der Zeit, erneut Tabus infrage zu stellen – so wie es Freud einst mit der Sexualität tat, nur gehe es diesmal um Denkverbote. Bonelli hat dazu ein Buch geschrieben: „Tabu: Was wir nicht denken dürfen und warum. Das prägende Thema unserer Zeit – tiefgründig, provokant und psychologisch erklärt.“ Es erscheint Ende März und analysiert sieben aktuelle Denkverbote.