Es ist wieder Nobelpreis-Zeit – und auf der blauen Seite des ORF blüht die Fantasie. Dort, wo man sich gern im betont neutralen Blau tarnt, hat man diesmal beschlossen, aus Wachstumsökonomen kurzerhand Nachhaltigkeitshelden zu machen. Laut orf.at ging der „Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften“ an „Nachhaltigkeitsforscher“.

Fachleute schütteln den Kopf: So nachhaltig war noch selten etwas daneben.

Laut ORF geht es beim diesjährigen Nobelpreis mal wieder um Ökologie.www.orf.at/Screenshot

Der Übersetzungsfehler – klein, aber folgenschwer

Die Redakteure des Wissenschaftsartikels glauben offenbar allen Ernstes, es ginge den drei Nobelpreisträgern um Nachhaltigkeit – also um Ökologie. Nachhaltigkeit meint verantwortungsvolles Wirtschaften und Leben, um die Lebensgrundlagen für zukünftige Generationen dauerhaft zu sichern – unter Berücksichtigung von Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft.

Philippe Aghion (Bild), Professor am Collège de France, erhielt gemeinsam mit Joel Mokyr und Peter Howitt den Wirtschaftsnobelpreis 2025 – für bahnbrechende Forschung über innovationgetriebenes, dauerhaftes (sustained) Wachstum und „schöpferische Zerstörung“.APA/AFP/JOEL SAGET

Der Grund: ein Übersetzungsfehler. Das Nobelkomitee spricht von „sustained growth“ – also anhaltendem, dauerhaftem Wachstum. Der ORF machte daraus „nachhaltiges Wachstum“ und titelte über „Nachhaltigkeitsforscher“.

Klingt grüner – und passt offenbar besser ins öffentlich-rechtliche Weltbild.

www.orf.at/Screenshot
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„Nachhaltiges Telefon“ und „nachhaltiger Fortschritt“?

Laut ORF hätten sich die drei ausgezeichneten Wissenschafter mit der Frage befasst, „wie nachhaltige Entwicklung vorangetrieben“ werden könne. Daher sei „die Offenheit der Gesellschaft für einen solchen Wandel“ wichtig, „damit nachhaltiger Fortschritt möglich wird.“ Innovativ wird dann auch der Bericht selbst an einer Stelle: „Jedes neue, nachhaltigere Telefon ersetze ein anderes und mache es obsolet.“

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Nachhaltigere Telefone ersetzen weniger nachhaltige? Interessant.

Worum es inhaltlich tatsächlich geht

Nein, Philippe Aghion, Peter Howitt und Joel Mokyr beschäftigen sich nicht damit, wie man CO₂ bindet oder Eisbären rettet – sondern damit, wie neue Ideen alte verdrängen. Das nennen sie „schöpferische Zerstörung“ und bauen damit auf den berühmten österreichischen Ökonomen Joseph Alois Schumpeter (1883–1950) auf, der damit den Prozess von Wachstum und Erneuerung beschrieb. „Schöpferische Zerstörung“ ist der Kern ihres Modells – kein unwillkommener Nebeneffekt.

Jedes neue, bessere Telefon macht das alte obsolet. Dass der ORF daraus ein „nachhaltigeres Telefon“ und gar Umweltschutz ableitet, ist fast schon Satire.

Porträts der Wirtschaftsnobelpreisträger 2025 – Joel Mokyr, Philippe Aghion und Peter Howitt – bei der Bekanntgabe in der Königlichen Schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stockholm.APA/AFP/Jonathan Nackstrand

Schumpeter und die schöpferische Zerstörung

In „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ (1942) beschrieb Schumpeter, dass Kapitalismus durch eine ständige „industrielle Mutation“ funktioniert: Neue Technologien, Produkte und Geschäftsmodelle verdrängen alte. Dieser Prozess ist nicht Beiwerk, sondern das Wesen des Kapitalismus. Unternehmer sind die treibende Kraft, indem sie Innovationen gegen Widerstände durchsetzen.

Joseph Schumpeter (Bild) zählt neben Friedrich August von Hayek zu den berühmtesten österreichischen Ökonomen des 20. Jahrhunderts.IMAGO/Album / Fine Art Images

Aghion und Howitt entwickelten 1992 ein mathematisches Modell, das diese kreative Zerstörung zum Motor des Wachstums macht. Mokyr wiederum zeigt historisch, dass Offenheit in Gesellschaften die entscheidende Voraussetzung ist, damit dieser Innovationsprozess gelingt.

Mit ökologischer „Nachhaltigkeit“ hat das freilich nichts zu tun. Schumpeters Prinzip lebt von Zerstörung und Erneuerung – das Gegenteil von Bewahrung. Genau deshalb wirkt der ORF-Titel „Nachhaltigkeitsforscher“ in diesem Zusammenhang wie ein Etikettenschwindel.

Nachhaltigkeit ist nicht „sustained growth“

Mit klassischer Nachhaltigkeit hat das so viel zu tun wie eine Kohlekraftwerkssubvention mit Greta Thunberg. Hier geht es nicht um die „Grenzen des Wachstums“ oder Klimapolitik à la William Nordhaus (2018), sondern um Wettbewerb, Märkte, Innovation und Industriepolitik.

Der Ökonom Prof. Ulrich Berger (WU Wien) kommentiert auf X: „Kleiner Tipp für den ORF: ,sustained growth’ = lang anhaltendes Wachstum, ,sustainable growth’ = nachhaltiges Wachstum. Großer Unterschied!“ Nach Lektüre des Artikels legt er nach: „Das ist ja noch schlimmer als gedacht! ‚Nachhaltige Telefone‘?!? Das hat wohl ein Praktikant fantasiert, damit es zur ‚Nachhaltigkeit‘ passt. Das ,sustained growth’ der letzten 200 Jahre ist genau jenes, das heute als ,nicht nachhaltig’ kritisiert wird!“

Prof. Monika Köppl-Turyna, Direktorin der EcoAustria, kommentiert: „Nein ORF – Aghion und Co. sind keine ‚Nachhaltigkeitsforscher‘.“ Franz Schellhorn von der Agenda Austria legt nach: „Lieber ORF: Wie lange wird es in etwa dauern, bis diese Falschmeldung korrigiert wird? Frage für einen Freund.“

So müsste man es korrekt rahmen

Korrekt wäre: „Wirtschaftsnobelpreis für Innovation und ‚kreative Zerstörung‘“ – für Forscher, die erklären, warum Volkswirtschaften dank Innovation dauerhaft wachsen. Das Nobel-Komitee spricht explizit von innovation-driven/sustained growth, nicht von Green/Sustainability Research.

Wer hingegen „Nachhaltigkeit“ liest, denkt an Klimapolitik. Hier geht’s aber um Wettbewerb, Innovation, Industriepolitik, nicht um CO₂-Preise.