Bombenanschläge und tödliche Bandenschießereien erschüttern Schweden. In nur zwei Jahrzehnten hat sich das Land von einem der sichersten in Europa zu einem der EU-Spitzenreiter bei Tötungsdelikten mit Schusswaffen entwickelt. Im ersten Monat seit Jahresbeginn explodierten mehr als 30 Bomben – durchschnittlich eine pro Tag! Die meisten standen im Zusammenhang mit Erpressungen durch Banden.

„Das ein Problem hat sich über einen sehr langen Zeitraum entwickelt“

Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson räumte jetzt auf einer Pressekonferenz ein: Die Kriminalität ist außer Kontrolle geraten. „Es ist offensichtlich, dass wir die Welle der Gewalt nicht unter Kontrolle haben“, sagte Kristersson. „Das ist ein Problem, das Schweden geerbt hat. Es hat sich über einen sehr langen Zeitraum entwickelt.“ Gewandt an all jene, die sich Sorgen machen, ob ihre Haustür über Nacht in die Luft gesprengt wird, vor allem im stark betroffenen Süden Stockholms, bekräftigte der Ministerpräsident: „Wir teilen genau diese Sorge“.

Polizei am Ort einer Explosion in Olskroken, Göteborg, am 31. August 2023. Experten des Bombenentschärfungskommandos wurden gerufen, nachdem schwedische Städte von vier Explosionen innerhalb von etwas mehr als einer Stunde erschüttert wurden.APA/AFP/TT News Agency/Adam IHSE

Eigenes Spezialteam der Polizei eingerichtet

Der Ministerpräsident kündigte Gesetzesänderungen im Kampf gegen die Kriminalitätswelle an, darunter die Möglichkeit für die Polizei, Kinder schneller abzuhören. Ein Spezialteam der schwedischen Polizei soll künftig auf Explosionen reagieren. Kriminellen mit doppelter Staatsbürgerschaft soll die Staatsbürgerschaft entzogen werden. Sollten Social-Media-Plattformen weiterhin nichts dagegen unternehmen, dass Kriminelle dort Jugendliche anwerben, werde man dies mit neuen Gesetzen durchsetzen, so Kristersson.

Großteil der Gewalt geht von migrantischen Motorrad- und Drogenbanden aus

Besonders brisant: Die Regierung erwägt, Häftlinge zur Verbüßung ihrer Strafe in ausländische Gefängnisse zu verlegen. Die schwedischen Gefängnisse sind inzwischen überfüllt. Die Zunahme der Bandenkriminalität hat Justiz und Strafvollzug überfordert und die schwedischen Haftanstalten an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Auch die Zahl der Vergewaltigungen ist explodiert. 1975 wurden in Schweden noch 421 Vergewaltigungen registriert. Im Jahr 2014 waren es bereits 6.620 Anzeigen, was einem Anstieg von 1.472 Prozent in 30 Jahren entspricht.

Blumen und Kerzen liegen am Tag nach der Schießerei im Einkaufszentrum Farsta südlich von Stockholm am 10. Juni 2023 auf dem Bürgersteig. Ein Bub (15) starb und drei Menschen wurden schwer verletzt.APA/AFP/TT NEWS AGENCY/Jessica Gow

Die meisten Gewalttaten in Schweden werden von kriminellen Banden verübt, vor allem von Motorrad- und Drogenbanden wie den Bandidos und Foxtrot. Die Mehrheit der Mitglieder hat Migrationshintergrund. Es wird geschätzt, dass etwa 62.000 Menschen in Schweden aktiv oder mit einem kriminellen Netzwerk verbunden sind und etwa 600 Bandenkriminelle im Ausland leben.

Verfügbare Haftplätze in den Gefängnissen reichen nicht mehr aus

Eine parlamentarische Kommission kam nun zu dem Schluss, dass unter diesen Umständen einer Überstellung von Gefangenen ins Ausland nichts im Wege stehe. Man verhandle bereits mit mehreren Ländern über die Anmietung von Zellen, bestätigte Justizminister Gunnar Strömmer.

Das schwedische Strafvollzugssystem verfügt derzeit über 11.000 Haftplätze, der Strafvollzugs- und Bewährungsdienst schätzt jedoch, dass bis 2033 mindestens 27.000 Plätze benötigt werden. „Wir müssen neue Lösungen für den Strafvollzug finden“, betonte Strömmer.

Mattias Wahlstedt, der Vorsitzende des Parlamentsausschusses, der sich mit dem Thema befasst, erklärte, dass Gefangene nur in EU-Länder oder in Länder des Europäischen Wirtschaftsraums (Norwegen, Island und Liechtenstein) überstellt werden könnten. Laut der schwedischen Zeitung Dagens Nyheter ist Estland eines der Länder, die Stockholm für die Überstellung von Gefangenen in Betracht zieht.

Die Pressekonferenz fand weniger als einen Tag nach der Ermordung von Salwan Momika statt, einem irakischen Flüchtling in Schweden, der durch mehrere Koranverbrennungen weltweit bekannt wurde. Er wurde in seinem Haus erschossen, während er live auf TikTok streamte. Der Express berichtete.