Züge blieben stehen, Ampeln fielen aus, Krankenhäuser mussten auf Notstrom umstellen – das gesamte iberische Stromnetz brach zusammen. Für Hansjörg Tengg, seit Jahrzehnten in der Energiewirtschaft tätig, steht fest: „Es war nicht zu wenig Strom – es war zu viel. Sonne und Wind haben das Netz regelrecht geflutet.“

Er spricht von einer „Hellbrise“ – dem Gegenteil der vielzitierten Dunkelflaute. Bei starkem Sonnenschein und Wind speisen Solaranlagen enorme Strommengen ins Netz – ungefiltert und unkoordiniert, ohne Rücksicht darauf, ob der Strom gerade gebraucht wird.

Wenn zu viel Strom das Netz kippen lässt

Was viele nicht wissen: Strom muss genau dann verbraucht werden, wenn er erzeugt wird. Eine Speicherung in großem Stil ist bis heute kaum möglich. Wird mehr Strom eingespeist, als abgenommen werden kann, beginnt das Netz zu schwanken – mit gefährlichen Folgen. „Wenn kein Abnehmer da ist, beginnt das System zu schwingen – und fliegt raus“, warnt Tengg.

Ein Beispiel: In Portugal wurden Pumpspeicher mit überschüssigem Strom befüllt. Als sie voll waren und abgeschaltet wurden, fiel plötzlich eine große Last weg – das ohnehin schon überforderte Netz wurde instabil. Die Frequenz sank – der Blackout folgte.

Zu viel des Guten? In Spanien sorgen Sonne und Wind für Strom – aber auch für den Blackout: Netzbetreiber waren mit der Flut an Energie überfordert.GETTYIMAGES/Pablo Blazquez Dominguez

Photovoltaik außer Kontrolle

Ein zentrales Problem: Photovoltaik speist unreguliert ein. Netzbetreiber haben kaum Einfluss auf die Einspeisung. „Die liefern einfach, ob der Strom gebraucht wird oder nicht“, sagt Tengg. Auch private Anlagen helfen im Ernstfall nicht – im Gegenteil: „Ich habe 16 Kilowatt am Dach – aber im Blackout konnte ich nichts nutzen. Der Inverter braucht Strom von außen, um zu starten.“

Besonders absurd: „In Spanien war es verboten, autarke Solaranlagen zu installieren – ein Wahnsinn!“

Einst Vorzeigemodell – heute Problemfall: Spaniens Solarparks wie hier in El Bonillo lieferten zu viel Strom. Die Folge: Der größte Blackout seit Jahren.GETTYIMAGES/Pablo Blazquez Dominguez

Tengg rechnet ab: „Ideologie statt Technik“

Tengg spart nicht mit deutlicher Kritik an der Energiepolitik – insbesondere an der Förderpraxis in Österreich: „In der quasi-religiösen Begeisterung von Gewessler und Gesinnungsfreunden in Österreich wurden hier Hunderte Millionen hinausgeblasen, um das zu fördern.“

Er betont: „Ich sage nicht, dass das falsch war – aber die Leute vom Netz haben immer gewarnt.“ Kurz: „Die Auswirkungen auf die Netze hat man unterschätzt.“

Tenggs Befund: „Viele politische Entscheidungen orientieren sich nicht an der Technik, sondern an Ideologie.“ Statt sich am tatsächlichen Verbrauch und Steuerbarkeit zu orientieren, wurde blind gefördert: „Die ganze Produktion wird gesteuert von der Sonne – nicht vom Verbraucher. Und wenn sie mehr liefern, als gebraucht wird, schaffen sie ein echtes Problem.“

Solarstrom am Dach – aber nicht steuerbar: Wie unkontrollierte Einspeisung aus Photovoltaik das Netz gefährden kann, zeigt der Blackout in Spanien.GETTYIMAGES/Eloi Omella

Auch Österreich ist verwundbar

Tengg warnt: Selbst wenn Österreich technisch besser vernetzt ist als Spanien – sicher ist man nicht: „Europa ist heute ein einziger Stromverbund. Was in Spanien passiert, kann auch uns treffen.“

Für die strukturellen Schwächen macht er Brüssel verantwortlich: „Die Politik ist von der EU bezüglich Energie völlig entmündigt worden.“

eXXpress-Redakteur Stefan Beig (l.) im Interview mit Hansjörg Tengg (r.) – „Der Blackout war absehbar!“EXXPRESSTV/EXXPRESSTV

Neue Analysen geben Tengg recht

Neue Berichte geben Hansjörg Tengg Recht: Der Blackout in Spanien war keine Folge eines Strommangels, sondern das Ergebnis eines instabilen, mit Solarstrom überlasteten Netzes – also das, was Tengg als „Hellbrise“ bezeichnet.

Der europäische Netzbetreiberverband Entso-e und das Analysehaus RBC Capital Markets beschreiben in ihren Auswertungen den Hergang: Am 28. April speisten Photovoltaikanlagen im Süden Spaniens so viel Strom ins Netz ein, dass das System an der Belastungsgrenze arbeitete. Dann der entscheidende Moment: Mehrere große Solarparks schalteten sich plötzlich selbst ab – und rissen das gesamte iberische Stromnetz mit.

Auf dem Dach der Arenas de Barcelona: Der ehemalige Stierkampfring wurde zum Einkaufszentrum mit Solarpanelen – Symbol für den Solarboom in Spanien.GETTYIMAGES/Jeffrey Greenberg/Universal Images Group

Warum schalteten sich die Solaranlagen ab?

Laut Entso-e kam es zunächst zu leichten Frequenzschwankungen im Netz – ein technisch gesehen kleiner Vorfall, aber in einem überlasteten System brandgefährlich. Die betroffenen Solaranlagen waren „netzfolgende Systeme“: Sie brauchen stabile Bedingungen im Netz, können aber selbst keine Stabilität erzeugen.

Als die Frequenz kurzzeitig unter den Sollwert sank, sprangen in den Solarparks automatische Schutzmechanismen an. Innerhalb von Sekunden wurden 2,2 Gigawatt an Solarstrom vom Netz genommen. Doch genau dieser abrupte Wegfall großer Energiemengen brach dem System das Genick.

Die Netzfrequenz sackte auf 48,0 Hertz – viel zu niedrig. Das gesamte Stromnetz kollabierte.

Solarboom ohne Sicherung

Besonders brisant: Spanien hat in den letzten Jahren einen enormen Solarboom erlebt – 64 Gigawatt Photovoltaik wurden installiert. Doch dem steht nur 1 Gigawatt an Batteriespeichern gegenüber – ein gefährliches Ungleichgewicht.

RBC Capital Markets sieht genau darin die Ursache: „Der wahrscheinlichste Auslöser des Stromausfalls war eine Serie von Abschaltungen von 2,2 GW Solaranlagen im Süden Spaniens.“

Diese Anlagen konnten keine Frequenzstützung leisten. Als sie sich gleichzeitig abschalteten, verstärkten sie die Instabilität – statt sie abzufangen.

Was fehlt: Speicher und schnelle Reaktion

Im Gegensatz zu Ländern wie Großbritannien hat Spanien kaum Systeme zur Frequenzstabilisierung. In Großbritannien übernehmen heute Batteriespeicher und KI-gesteuerte Systeme zentrale Aufgaben im Netz – sie reagieren in Millisekunden und verhindern Großstörungen.

Der US-Nachrichtendienst Bloomberg zitiert dazu Luis D’Acosta, CEO des Energietechnologieunternehmens Uplight: „Je mehr Erneuerbare im System, desto nervöser wird es – und die Reaktionszeit muss immer kürzer werden.“